Thomas Schnaak, Die Kunst des langen Atems – Vorteile einer inklusiven Medienpädagogik
Der französische Dichter Jean de La Bruyére hatte im 17. Jahrhundert eine wichtige Einsicht: "Dem, der sich mit Geduld wappnet, liegen keine Vorteile zu fern“. Sich in der Kunst des langen Atems zu üben, stellt nicht nur eine unterhaltsame Marotte aus einer Zeit dar, die über 300 Jahre zurückliegt. Sie ist auch heute noch überlebensnotwendig. Gerade in einer Gesellschaft, die sich durch einen kontinuierlichen Wandel auszeichnet und von den Menschen verlangt, sich immer wieder neu auf Veränderungen einzulassen.Pädagoginnen und Pädagogen, die sich ja von Berufs wegen mit dem Lernen beschäftigen, sehen sich mit wachsenden Ansprüchen konfrontiert – sie sollen nicht nur die Lernprozesse ihrer jeweiligen Zielgruppen initiieren und begleiten, sie sollen auch selbst fortdauernde Lernbereitschaft demonstrieren.
In der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird im § 24 ausführlich beschrieben, welche Auswirkungen die Inklusion auf die unterschiedlichen Bildungsbereiche hervorrufen soll. Der Veränderungsradius ist enorm und umfasst die ganze Spanne des lebenslangen Lernens – von der Kita über die Grundschule, die berufliche Bildung, die Hochschule bis hin zur Erwachsenenbildung.
Medienpädagoginnen und Medienpädagogen decken mit ihren unterschiedlichen Angeboten dieses Spektrum ab. Auch für sie stellt sich die Frage nach der Inklusion – auch sie sind in ihrer Lernbereitschaft herausgefordert. Gleichzeitig sind damit viele Fragen verbunden:
- Wie kann ich Menschen mit Behinderung in Medienprojekte einbinden?
- Welche Arten von Behinderung gibt es überhaupt?
- Auf welche unterstützenden Technologien kann ich zurückgreifen, um Menschen mit Behinderung den Zugang zu Medien zu erleichtern?
- Richten sich inklusive Bildungsansprüche nur an diese Zielgruppe – oder sind damit nicht auch die unterschiedlichsten Zugangsvoraussetzungen wie zum Beispiel Alter, Geschlecht, kulturelle und ethnische Hintergründe angesprochen?
Fragen über Fragen, die früher in der Sonderpädagogik angesiedelt zu sein schienen, die nun aber in den Kernbereich und in das Selbstverständnis der Medienpädagogik hinüberwandern.
Die Vorteile einer inklusiven Medienpädagogik liegen dabei nicht offenkundig auf der Hand. Denn es wird viel verlangt. Die Einarbeitung in ein neues Handlungsfeld – zum Beispiel das Vertraut werden mit einer ganzen Palette von unterstützenden Technologien, die Behinderungen auf der Hard- und Softwareebene kompensieren. Oder die kreative Auseinandersetzung mit den Methoden einer binnendifferenzierten Gruppenarbeit. Sie ermöglichen es, Menschen mit unterschiedlichen Lerntempi an einem gemeinsamen Prozess teilhaben zu lassen, ihn mit zu gestalten und sich mit ihrer Individualität in die Vielfalt einzubringen.
Künftige medienpädagogische Angebote dürfen also nicht mehr gedankenlos voraussetzen, dass sie schon irgendwie in Anspruch genommen werden können. Sie müssen vielmehr die unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen mitbedenken. Das erhöht für die Medienpädagoginnen und Medienpädagogen natürlich den Aufwand. Dafür benötigen sie Zeit und sachliche Ressourcen, aber viel wichtiger noch: ehrliches Interesse und Empathie.
Womit werden sie entlohnt? Nicht mit dem vordergründigen Gefühl, medienpolitisch korrekt zu handeln und einfach nur einem neuen Bildungstrend zu folgen. Sondern vielmehr mit einer positiven emotionalen Bestätigung.
Wer zum Beispiel für Kinder mit und ohne Behinderung die Rahmenbedingungen schafft, damit sie gemeinsam ein barrierefreies Hörspiel entwickeln können, ermöglicht nicht nur ein wunderschönes Erlebnis von Gemeinsamkeit, sondern bekommt auch Dankbarkeit von allen zurückgeschenkt, die sich durch diese Vielfalt bereichert fühlen.
Diese tolle Erfahrung lässt Pädagoginnen und Pädagogen nicht unberührt – Medien trennen nicht, sie ermöglichen vielmehr ein gemeinsames Spielen und Lernen aus unterschiedlichen Voraussetzungen heraus. Dafür lohnt es sich auch, Geduld zu haben und den mittel- und langfristigen Vorteilen die Zeit zu geben, die sie zur Entfaltung brauchen.