GMK - Fachgruppe Schule,
Medien und Informationstechnologien in Schule und Unterricht
Stellungnahme der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK), erarbeitet von der Fachgruppe Schule
(Mai 1999)
Inhalt:
1. Ausgangslage
2. Zum Verständnis von Schule und Medienkompetenz
3. Zur Förderung von Medienkompetenz im Rahmen der Schule
4. Maßnahmen und Empfehlungen
1. Ausgangslage
Seit einiger Zeit wird in zahlreichen Publikationen, Tagungen und öffentlichen Statements verschiedener gesellschaftlicher Gruppen gefordert, dass zur Vorbereitung auf das Leben in der "Medien- und Informationsgesellschaft" zukünftig "Medienkompetenz" verstärkt gefördert werden soll. Auch der im Herbst 1998 vorgelegte Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" sieht in der Förderung der Medienkompetenz eine Schlüsselaufgabe.
Von den für die Schule und die Kinder- und Jugendarbeit fachlich zuständigen Länderministerien wurden bereits vorher Beschlüsse und Empfehlungen zu Fragen von Medien und Informationstechnologien in Schule und Unterricht, in Erziehung und Bildung veröffentlicht (BLK 1995, KMK 1995, 1997 und JMK 1996). Allerdings werden die Beschlüsse und Empfehlungen bisher nur in einigen Bundesländern ansatzweise umgesetzt.
In einer breiten und reflexiven Umsetzung dieser Beschlüsse und Empfehlungen sieht die GMK eine gute Chance, den Anforderungen gerecht zu werden, die sich für Schule und Unterricht, für Erziehung und Bildung in der Medien- und Informationsgesellschaft ergeben.
Allerdings besteht bei den Umsetzungen aus der Sicht der GMK - trotz des breiteren Verständnisses in den vorliegenden bildungspolitischen Papieren und Stellungnahmen - die Gefahr einer Verkürzung im Hinblick auf das Verständnis von Medienkompetenz und von Schule: Die Funktion von Schule darf nicht auf die Wissensvermittlung sowie die Vorbereitung auf das spätere Berufsleben und der Begriff der Medienkompetenz sollte nicht auf Handhabungsfertigkeiten sowie Funktionskenntnisse zu Computern und Telekommunika-tionsdiensten verkürzt werden.
Ein solchermaßen verkürzter Blickwinkel darf auf keinen Fall zur wesentlichen Grundlage finanzieller Förderung werden.
2. Zum Verständnis von Schule und Medienkompetenz
Veränderungen von Schule sollten nicht als kurzschlüssige Reaktion auf technologische Entwicklungen konzipiert werden, sondern müssen im Rahmen eines umfassenderen gesellschaftlichen Wandels gesehen werden: Schule steht in Wechselbeziehung zum gesamtgesellschaftlichen Wandel, der u.a. durch technologische und soziale Entwicklungen gekennzeichnet ist. Sie soll in der Medien- und Informationsgesellschaft zwar auch der Aneignung von Wissen und einer allgemeinen Vorbereitung auf das Berufsleben dienen, sie muss im Zusammenhang mit ihrer Funktion als Lernort jedoch zugleich als Lebens-, Erfahrungs-, Entwicklungs- und sozialer Handlungsraum gestaltet werden.
Medienkompetenz als ein Zielbereich von Schule umfasst zwar auch Handhabungsfertigkeiten und Funktionskenntnisse, insgesamt geht es jedoch um mehr, und zwar um die Fähigkeit und Bereitschaft
- mediale Angebote, z.B. mediale Produkte, Instrumente und Kommunikationsdienste, in reflektierter Weise für unterschiedliche Funktionen, z.B. für Information und Unterhaltung, für Lernen und Problemlösen, für Kommunikation und kulturelle Zwecke zu nutzen,
- mediale Beiträge zur Gestaltung eigener Aussagen und zur Herstellung von Öffentlichkeit für gesellschaftlich wichtige Themen zu produzieren und zu verbreiten,
- Mediengestaltungen, d.h. unter anderem die "Zeichensprache" der Medien sowie funktionale Prinzipien der Informationsverarbeitung, angemessen zu verstehen und zu bewerten,
- Einflüsse der Mediennutzung auf Gefühle und Vorstellungen, auf Verhaltens- und Wertorientierungen, auf soziale und politische Zusammenhänge zu erkennen und einzuschätzen,
- Bedingungen der Produktion und Verbreitung medialer Angebote in ihrer individuellen und gesellschaftlichen Bedeutung analytisch zu erfassen und durch Einflussnahme an der Gestaltung von Medienkultur mitzuwirken.
Dabei sollen nicht nur Multimedia und Computernetze, sondern das gesamte Medienensemble - vom Buch über das Fernsehen bis zur Telekommunikation - im Blick sein. Medienkompetenz sollte sich als ein Zielbereich von Schule an der Leitidee von Erziehung und Bildung in unserer Gesellschaft orientieren. Als Leitidee der Schule kann ein sachgerechtes, selbstbestimmtes und kreatives Handeln in sozialer Verantwortung gelten. Ein solches Handeln setzt voraus, daß in der Schule die Lebenssituation und die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen beachtet, neue Erfahrungen für sie ermöglicht und ihre intellektuelle und ihre soziale Entwicklung gefördert werden.
In einem solchen Rahmen geht es - bezogen auf die neuen Medien - darum,
- unterschiedliche Zugangsweisen zu Informations- und Unterhaltungsquellen auch in den Netzen zu kennen, zu beherrschen und selbstbestimmt und verantwortlich zu nutzen und dabei unterschiedliche Suchinstrumente und Suchstrategien einzusetzen und umfangreiche Informationsangebote zu strukturieren und zu bewerten,
- mono- und multimediale Informationsangebote aus unterschiedlichen Quellen auszuwählen, in Bezug auf technische Entstehung, Echtheit, Vollständigkeit, Glaubwürdigkeit, Qualität, Wirklichkeitsbezüge und/oder Unterhaltungswert sowie mögliche Einflüsse auf unterschiedliche Zielgruppen einzuschätzen und in Bezug auf ihre Relevanz zu gewichten, zu bewerten und zu vergleichen,
- mit anderen auch über digitale Netze bedürfnis- und sachorientiert zu kommunizieren und dabei unterschiedliche Interessen und/oder kulturelle Unterschiede zu erkennen und zu tolerieren und vorhandene Regeln der Kommunikation im Netz zu bewerten und anzuwenden,
- mono- und multimediale Informationen zu erstellen und/oder zu bearbeiten und sie ebenso wie eigene Überlegungen und Meinungen für bestimmte Zielgruppen nach inhaltlichen, ethischen und gestalterischen Kriterien produktorientiert auch im Netz aufzuarbeiten und zu präsentieren,
- digitale Netze und netzspezifische Arbeitsmittel für individuelle und gruppenbezogene kreative sowie kooperative Aktivitäten produktorientiert zu nutzen,
- sich für eine Grundversorgung an Information, für einen diskriminierungsfreien Zugang zu Informationen und für informationelle Selbstbestimmung solidarisch einzusetzen.
3. Zur Förderung von Medienkompetenz im Rahmen der Schule
Um die Förderung von Medienkompetenz im Rahmen von Erziehung und Bildung zu leisten, sollte es in der Schule vielfältige Kommunikations- und Arbeitsformen geben:
- offene Formen des Gesprächs und des Erfahrungsaustausches,
- selbsttätiges Lernen in geeigneten Lernumgebungen,
- Bearbeitung lern- und entwicklungsanregender Aufgaben in Lerngruppen unter Anleitung einer Lehrperson,
- mannigfaltige Aktivitäten des Schullebens.
Selbsttätiges Lernen und die Bearbeitung lern- und entwicklungsanregender Aufgaben in Lerngruppen sollten auf Problemlöse-, Entscheidungs-, Gestaltungs- und Beurteilungsfähigkeit zielen. Erst im Rahmen entsprechender Lernprozesse wird die Verwendung von Multimedia und Computernetzen sinnvoll. Dabei können neue Medien als
- Präsentationsformen für Aufgaben und Analysegegenstände,
- Informationsquellen und Lernhilfen,
- Werkzeuge bei der Bearbeitung von Aufgaben,
- unterstützende Instrumente beim Gedankenaustausch und bei der Planung von Arbeitsschritten sowie bei der Speicherung und der Mitteilung von Lernergebnissen dienen.
Insbesondere Computernetze ermöglichen
- einen allgemeinen Informations- und Gedankenaustausch,
- eine gezielte Informationshilfe und Unterstützung,
- eine parallel vergleichende Bearbeitung eines Themas,
- eine gemeinsame Gestaltung eines Produkts.
Im Zusammenhang mit diesen Positionen ist zugleich ausgesagt, dass neue Medien - seien sie nun als Informations-, als Spiel-, als Lernprogramme oder als Edutainment konzipiert - nicht von sich aus zukunftsträchtiges Lernen ermöglichen, sondern erst wenn sie in den Zusammenhang von Problemlöse-, Entscheidungs-, Gestaltungs- und Beurteilungsfähigkeit unter der Leitidee eines sachgerechten, selbstbestimmten, kreativen und sozialverantwortlichen Handelns gestellt werden. Dies bedeutet auch, daß die Verwendung "neuer" und "alter" Medien für Lernen und Lehren in einen medienpädagogischen Kontext gestellt werden muss, der sich durch die Zieldimensionen auszeichnet, die im Zusammenhang mit dem Konzept der Medienkompetenz angesprochen wurden.
4. Maßnahmen und Empfehlungen
Um eine lern- und entwicklungsfördernde Medienverwendung sowie die Wahrnehmung der notwendigen Erziehungs- und Bildungsaufgaben zu ermöglichen, sind strukturelle Maßnahmen - besonders im Bereich von Schule und Lehrerbildung - notwendig.
4.1 Schulentwicklung
Die öffentliche Diskussion um die Bedeutung der neuen Medien für das Lernen und Leben in der Medien- und Informationsgesellschaft hat bei Lehrkräften nicht nur Nachdenklichkeit, sondern auch Bereitschaft erzeugt, sich mit den Möglichkeiten und Grenzen multimedial gestützten Lernens und Lehrens engagiert und offensiv auseinanderzusetzen. Der Computer als multifunktionales Medium legt es nahe, die früher eher getrennt realisierte Printmedien-, Audio-, Foto- und Videoarbeit und die neuen Möglichkeiten digitaler Netze zu einer übergreifenden medienpädagogischen Arbeit zu vereinigen. Erfahrungsberichte der letzten Jahre machen mehr und mehr deutlich, dass die Integration der neuen Medien in pädagogisch-didaktische Handlungszusammenhänge geeignet ist, auch Prozesse der Schulentwicklung und Unterrichtsreform zu stützen, unter Umständen sogar auszulösen. Durch Schwerpunktsetzungen im Bereich Medienpädagogik haben Schulen vielfach ein eigenes "Profil" entwickelt, bei dem unter anderem
- medienpädagogische Themen in Form von lernbereichs-/fächerübergreifenden Projekten realisiert wurden,
- ein situationsgerechtes medienpädagogisches Schulkonzept erarbeitet wurde,
- schulinterne und schulexterne Lehrerfortbildung organisiert wurde,
- die Vernetzung der Schule mit Unterstützungssystemen hergestellt wurde (z.B. social sponsoring, Ausbau eines Netzes von Lernorten, Kooperation mit regionalen Medienzentren/ Bildstellen/ Bibliotheken),
- Lehrkräfte in Klassen-/Fachteams kooperierten und
- die Teilnahme an medienpädagogischen Schulversuchen gesucht wurde.
Solche Ansätze gilt es in Zukunft in größerer Breite anzuregen und zu unterstützen. Entsprechende Aktivitäten sind dabei als mittel- und längerfristige Entwicklungsprozesse zu sehen. Allerdings erfordern diese Entwicklungsprozesse eine kontinuierliche Bereitstellung finanzieller Mittel für Hard- und Software, für Vernetzung, Systembetreuung und Qualifizierung der Lehrkräfte. Ohne eine solche Bereitstellung von Mitteln bleibt das Zukunftsprojekt "Lernen für ein Leben in der Medien- und Informationsgesellschaft" bereits in seinen Ansätzen stecken. Beispielsweise wird auch die von außen gestartete Technikoffensive "Schulen ans Netz" nur punktuell greifen, wenn die bereitgestellte technische Infrastruktur aufgrund fehlender Mittel nicht aufrechterhalten, gepflegt und erweitert und das Projekt in ein kontinuierliches Qualifizierungs-, Beratungs- und Unterstützungssystem einmündet.
4.2 Lehrerbildung
In der Lehrerfortbildung gab es in den letzten Jahren zwar einige bedeutsame Anregungen, besonders im Bereich der Informationstechnischen Grundbildung. Insgesamt ist in der Lehrerbildung - vor allem wenn man die Lehrerausbildung in den Blick nimmt - die Befähigung zur Nutzung von Medien generell und von neuen Medien im besonderen sowie zur Wahrnehmung von Erziehungs- und Bildungsaufgaben im Medienbereich stark vernachlässigt worden. Damit wurde eine wichtige Chance vertan, eine breite Basis für die reflektierte Nutzung neuer Medien und die Wahrnehmung der damit verbundenen medienpädagogischen Aufgaben in Schule und Unterricht zu schaffen. Nicht selten hat diese Situation dazu geführt, dass die "Zuständigkeiten" für die neuen Medien in die Hände der Informatik-Lehrer gelegt wurden. Medienunterstützendes und auf Medienkompetenz zielendes Unterrichten ist jedoch eine Aufgabe, der sich in Zukunft alle Lehrkräfte zu stellen haben. Die GMK fordert daher für die Lehrerbildung in den einzelnen Phasen:
Lehrerausbildung 1. Phase Für alle Lehramtsstudierenden soll eine medienpädagogische Veranstaltung im Umfang von mindestens zwei Semesterwochenstunden verbindlich sein. Diese könnte eine Übersicht über verschiedene Aufgabenbereiche der Medienpädagogik und Ansätze zur eigenen Gestaltung von Medien umfassen. Sie sollte durch Wahlpflichtangebote zu unterschiedlichen Aufgabenbereichen der Medienpädagogik erweitert werden. Studierende sollten die Möglichkeit erhalten, im Rahmen ihres erziehungswissenschaftlichen, fachdidaktischen und/oder fachwissenschaftlichen Studiums einen Schwerpunkt bei Fragen der Medienbildung im Umfang von bis zu 16 Semesterwochenstunden zu setzen. Für besonders interessierte Studierende sollte auf der Basis ergänzender, vertiefender und erweiternder Studienleistungen eine Zusatzqualifikation im Bereich von "Medien und Informationstechnologien in Erziehung und Bildung" angeboten werden.
Lehrerausbildung 2. Phase In die Verordnung über die schulpraktische Ausbildung sollten zwei Verpflichtungen aufgenommen werden:
- Ein "Medienpädagogischer Grundkurs", der sich an den im BLK-Papier genannten Aufgabenfeldern und Kompetenzen orientiert und mindestens 30 Stunden umfasst, sollte obligatorisch sein. Hierfür sollten Bausteine entwickelt und genutzt werden können, die direkt für den Unterricht verwertbar sind.
- Eine Fortbildung für alle Fachseminarleiter und -leiterinnen sollte obligatorisch sein, damit diese verstärkt die medienpädagogische Perspektive in ihre Arbeit einbringen und medienpädagogische Leitvorstellungen sowohl in fachspezifischen als auch in themenbezogenen und fachübergreifenden Ansätzen realisieren können.
Lehrerfortbildung Für die Lehrerfortbildung zur Medienpädagogik sollten die Möglichkeiten schulinterner und schulexterner Qualifizierung verstärkt und konzeptionell abgestimmt werden. Die individuelle Fortbildung der Lehrenden soll dabei in das übergreifende Ziel eingebunden sein, die Schulen zu unterstützen, ihr eigenes medienpädagogisches Konzept zu entwickeln, in dem Unterrichtseinheiten und Projekte über die verschiedenen Fächer und Jahrgangsstufen hinweg koordiniert und die Zusammenarbeit mit außerschulischen Einrichtungen durchgängig eingeplant wird.
Dazu sollten die Schulen angehalten werden, eine Arbeitsgruppe mit einem entsprechenden Koordinierungs- und Entwicklungsauftrag einzurichten. Für die Entwicklungsarbeiten sollte eine Stundenermäßigung möglich sein.
4.3 Beratungs- und Unterstützungssysteme
Insgesamt sollte die medienpädagogische Arbeit in den Schulen und die Fortbildung durch Beratungs- und Unterstützungssysteme gefördert werden. Für die Arbeit "vor Ort" bietet es sich an, medienpädagogische Aktivitäten in Schulen und anderen lokalen Bildungseinrichtungen sowie in Einrichtungen der Jugend- und Kulturarbeit miteinander in Verbindung zu bringen, um vorhandene Interessen und Kompetenzen für die medienpädagogische Arbeit fruchtbar zu machen. Darüber hinaus sollten Kooperationen mit Medieneinrichtungen der Region angestrebt werden, z.B. mit Zeitungsverlagen und dem Bürgerfunk. Schulen und andere Bildungs-, Jugend- und Kultureinrichtungen sowie Medieninstitutionen können sich gegenseitig in ihren medienbezogenen Aktivitäten stärken, so dass ein vernetztes Unterstützungssystem zwischen den verschiedenen Einrichtungen entsteht. Insgesamt ist dazu eine - die medienpädagogische Arbeit anregende, unterstützende und koordinierende - lokale Stelle notwendig. Beispielsweise ließen sich entsprechende Aufgaben auf vorhandene und gegebenenfalls weiter zu entwickelnde Bildstellen übertragen.
In der wechselseitigen Stärkung und Stützung verschiedener Einrichtungen liegt dann auch die Chance, eine kommunale Medienkultur zu entwickeln, in welche eine lokale bzw. regionale Koordinierungs- und Beratungsstelle als "Kommunikationsplattform" eingebunden sein sollte. Entsprechende lokale oder regionale Einrichtungen sollten ihrerseits auf Landesebene, z.B. von einem Landesmedienzentrum aus, die notwendige Unterstützung erfahren.