Stellungnahme der GMK zum zeitgemäßen Kinder- und Jugendmedienschutz (2016)

Stellungnahme im Nachgang der I-KIZ-Fachtagung "Weichen stellen für einen zeitgemäßen Jugendmedienschutz“ vom 21. Juni 2016

Konvergente digitale Medien überall: Jugendmedienschutz endlich neu gestalten

Die Mediennutzung von Kindern ist heute selbstverständlich und vielfältig. Kinder und Jugendliche weisen im Umgang mit diesen Medien viele Nutzungskompetenzen auf. Dennoch wird von Seiten der Wissenschaft (JFF 2016; Hoffmann et al. 2013; Treumann et al. 2007; u.a.) und aus der Praxis immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Zugang zu Medien nicht gleichzusetzen ist mit einem medienkompetenten Umgang.

Ein Jugendschutz, der sich nur auf Filme und Computerspiele beschränkt, ist nicht zeitgemäß, weil digitale Medien konvergent und hybrid sind. Kinder und Jugendliche bewegen sich in medienkonvergenten Medienwelten, suchen Inhalte nicht nur im Film, sondern im Spiel, in Communities, auf Videoplattformen usw. Zu den klassischen und viel diskutieren Konfrontationsrisiken auf der Inhaltsebene gehören Pornografie, Gewalt u.a. Hier kann/ soll der Jugendmedienschutz weiterhin mittels Altersempfehlungen Orientierung geben. Allerdings sollte eine neue Einteilung der Altersangaben diskutiert werden. Nicht nur aufgrund der Vorverlagerung des Übergangs von Kindheit zum Jugendalter sind die Stufen an die Entwicklungen und Lebenswelten von Kinder- und Jugendlichen anzupassen (z.B. 0, 6, 10, 14, 16, 18 Jahre statt: 0, 6, 12, 16, 18 Jahre). Im Sinne eines erzieherischen, pädagogischen Jugendmedienschutzes bedarf es zudem medienpädagogischer Altersempfehlungen, die über eine Berücksichtigung einer möglichen Entwicklungsbeeinträchtigung hinausgehen. Der Jugendmedienschutz setzt zudem aktuell vor allem auf technische Regelungen. Diese können Eltern prinzipiell eine Orientierung bieten, oberstes Gebot ist aber weiterhin: Er darf nicht unverhältnismäßig in die Meinungs- und Informationsfreiheit eingreifen! Hier muss sich Jugendmedienschutz immer wieder kritisch reflektieren. Des Weiteren darf technischer Jugendmedienschutz nicht sehr voraussetzungsreich sein, damit Eltern ihn anwenden: Bereits existierenden und geplante Instrumente müssen daher erprobt und kontinuierlich evaluiert werden. Zu überlegen ist, wie Kinder und Jugendliche beteiligt werden können (nicht nur in Usabilitytests).

Nicht nur Inhalte, auch Kommunikation muss für den Jugendmedienschutz relevant sein

Neben den auf der Inhaltsebene liegenden Risiken, sollte stärker auf Nutzungsrisiken geachtet werden, die auf der Ebene der Interaktion und Kommunikation liegen. Zu beachten ist, dass 6- jährige Kinder das Internet anders als 12- jährige Kinder oder 16-jährige Jugendliche nutzen. Mit zunehmendem Alter sind Kinder kommunikativ im Internet unterwegs, sie werden immer mehr selbst zu Akteurinnen und Akteuren. Älteren Kindern und Jugendlichen stellen sich somit andere Herausforderungen. Diese äußern sich in der Konfrontation mit bewusst schädigendem Verhalten durch andere: Hate Speech, Shitstorms, Cyber-Mobbing und Grenzüberschreitungen im Kontext von Sexting und Cyber-Grooming. Hinzu kommen Begegnungen mit gruppenbezogenen menschenverachtenden Ideologien und gezielten Anwerbungsversuchen durch extremistische Ideologen. Hier gilt es, verstärkt eine Wertedebatte um die Ausgestaltung des digitalen Raumes durch die Nutzer selbst zu führen. Dabei sind auch Kinder und Jugendliche mit einzubeziehen. Hierzu finden sich zahlreiche Ansätze in einer wertekompetenzorientierten Medienpädagogik.

Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung – Anbieter in der Pflicht

Eine dritte Ebene betrifft den Datenschutz – und damit die Frage der informationellen Selbstbestimmung. Hier gilt es Anbieter in die Verpflichtung zu nehmen, die Datenschutzeinstellungen standardmäßig auf die höchste Schutzstufe einzustellen, die Verarbeitung personenbezogener Daten zu minimieren, anonymes oder pseudonymes Handeln im Internet zu ermöglichen, eine einfache Sprache und eine Transparenz in der Datenverarbeitung zu gewährleisten.

Wir als GMK sehen die Vorteile eines technischen und gesetzlichen Jugendmedienschutzes; vor allem wenn dies bedeutet, auch hier Anbieter in die Verantwortung zu nehmen. Eine Kennzeichnung aller Internetangebote im Sinne eines technischen oder gesetzlichen Jugendmedienschutzes ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht realistisch. Familien erwarten einen Schutz ihrer Kinder – der ihnen aber nicht allumfassend gewährt werden kann. Darüber müssen sie Bescheid wissen. Eltern erhoffen sich Orientierung. Hinsichtlich Apps bietet diese die IARC (International Age Rating Coalition). Die Kennzeichnung durch die IARC ist der Versuch einer weltweiten Altersbewertung, indem Anbieter ihre einzelnen Produkte anhand eines Fragebogens selbst einstufen, welcher dann wiederum eine kulturspezifische Alterskennzeichnung auswirft. Diese "Selbstlabelung“ ist allerdings auch auf wissenschaftlich fundiertere Füße zu stellen. Erziehungswissenschaftliche Medienforschung und medienpädagogische Fachkompetenz ist an der Erstellung des Fragebogens zu beteiligen. Der Fragebogen bzw. die Labelung muss stetig angepasst werden (z.B. durch ein Kontrollgremium). Zudem müssen auch Datenschutzaspekte berücksichtigt werden.

Auf Nutzerseite gehört wiederum Medienkompetenz dazu, dieses Angebot einzuschätzen. Ein Beispiel: Der unter Kinder und Jugendlichen sehr beliebte Messengerdienst WhatsApp bekommt im Playstore eine USK 0-Kennzeichnung, während die US-amerikanischen AGBs eine Nutzung erst ab einem Alter von 16 Jahren erlauben. Eine USK 0-Kennzeichnung darf nicht als Freibrief verstanden werden. Eltern stehen weiterhin in der Pflicht, Kinder bei der Nutzung solcher Angebote verantwortlich zu begleiten, hier fehlen aber oftmals noch Kompetenzen.

Befähigen statt beschränken: Kein Jugendmedienschutz ohne pädagogischen Support

Es gilt: Der "Schutzaspekt“ muss zukünftig übergreifender gefasst werden! Für den Umgang mit den oben genannten Risiken gilt es, Kinder und Jugendliche nicht nur zu schützen, sondern sie zu befähigen. Im Rahmen von Medienbildung muss ihnen Medienkompetenz vermittelt werden. Der GMK geht es dabei um einen kritischen und kreativen Umgang mit Medien im Sinne eines erzieherischen oder pädagogischen Jugendmedienschutzes. Denn technische Lösungen können nie allumfassend sein. Der gesetzliche Jugendmedienschutz bietet eine gute Orientierung – aber der Umgang mit diesen Orientierungen muss sowohl von Eltern als auch von Kindern und Jugendlichen gelernt sein. Hier ist zum einen eine medienpädagogische Elternbildung notwendig. Eltern müssen bspw. wissen, dass die Altersgrenzen von USK und FSK nicht medienpädagogischen Altersempfehlungen entsprechen; dass es der Freiwilligen Selbstkontrolle um einen Schutz vor Entwicklungsbeeinträchtigung geht – und nicht um inhaltliche Empfehlungen hinsichtlich eines sinnvollen Einsatzes. Die Erwartungen der Eltern an den Jugendschutz und eine Hilfestellungen durch Technik sind groß. Eine aktuelle Studie des DJI (2016) zeigt, dass 90% Mütter und 80% Väter sich dafür aussprechen, den Jugendschutz zu verschärfen, obwohl kein Zusammenhang mit negativen Interneterfahrungen zu verzeichnen ist. Die EU Kids-Online-Studie zeigt: In Deutschland lebende Kinder und Jugendliche sind im EU-Vergleich weniger Risiken ausgesetzt.

Studien des JFF (Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis), des Hans-Bredow- Instituts und des DJIs (Deutsches Jugendinstitut) zeigen aber auch, dass zum einen nur wenige Eltern wissen, dass es die genannten technischen Möglichkeiten wie White- und Blacklists gibt und noch weniger, wo diese zu beziehen und wie diese zu nutzen sind. Eltern kennen sich bei Internetangeboten der Kinder zu wenig aus. Sie sehen die Verantwortlichkeit für Medienerziehung mit ansteigendem Alter der Kinder immer stärker außerhalb Familie und bei Schulen. Der elterliche Medienerziehungsstil in Deutschland ist zum einen zwar begleitend, zum anderen aber dennoch restriktiver als in anderen europäischen Ländern. Dies bedeutet auch, dass Kinder und Jugendliche das Internet in Deutschland weniger vielfältig und weniger häufig nutzen. Dies bedeutet wiederum, dass sie in ihren Möglichkeiten zur Medienkompetenzentwicklung eingeschränkt sind. Hilfestellungen durch Technik (oder Indizierung) kommt Eltern sicher entgegen, greift aber zu kurz! Dieser Weg fördert eher einen Blick auf Risiken, sensibilisiert aber nicht für ermöglichende Potentiale der Medien. Sinnvoller als auf Restriktionen durch so genannten Blacklists scheint es, auf Whitelists zu setzen (wie bspw. FragFinn.de). Eine Positiv-Würdigung erscheint u.E. – als Ergänzung zu Alterskennzeichnungen – unbedingt erforderlich. Diese ist aus pädagogischer Sicht auch zielführender, da durch sie Medienkompetenz gestärkt wird (Selbstschutz, Bildungsaspekte).

Alle Bildungsinstitutionen einbeziehen in pädagogischen Jugendmedienschutz

Zur Elternbildung muss eine notwendige Implementierung von Inhalten und Methoden des erzieherischen oder pädagogischen Jugendmedienschutzes in allen Bildungsinstitutionen erfolgen, damit eine Kompetenzvermittlung auch außerhalb des Elternhauses gewährleistet ist. Es geht darum, Jugendliche zu stärken und zu befähigen, gemeinsam mit ihnen kreativ und kritisch mit Medien zu arbeiten. Angebote der handlungsorientierten Jugendmedienarbeit mit Kindern und Jugendlichen sollen nicht nur Orientierung bieten, belehren und bewahren. Sie dürfen Spaß machen, Kinder und Jugendliche in ihren Lebenswelten abholen, kreativ sein, Lust machen, befähigen. Zentral für ein intelligentes Risikomanagement ist also das Zusammenspiel technischer, präventiver, erzieherischer und partizipativer Maßnahmen. Somit sind neben technischen Jugendschutzlösungen vor allem auch medienpädagogische Maßnahmen und der sogenannte "positive content“ hervorzuheben, die in einem Gleichgewicht stehen sollten. Herausragende medienpädagogische Projekte zeichnet jährlich der Dieter Baacke Preis der GMK aus. Ziel ist es, diese zu würdigen und bekannt zu machen.

Digital durchdrungene Lebenswelten – neue Herausforderungen

Zukünftig werden sich durch neue Technologien wie Virtual und Augmented Reality, Internet of Things und Künstliche Intelligenz die Nutzungsrisiken für Kinder und Jugendliche erweitern bzw. noch präsenter in der Lebenswelt auftreten.

Hier sollte neben der Debatte im Jugendmedienschutz vor allem auch eine gesellschaftliche Debatte angestoßen werden, welche Rolle Zukunftstechnologien im Alltag einnehmen sollen und dürfen. Die medienpädagogische Fachtagung Forum Kommunikationskultur der GMK, die in diesem Jahr im November zum Thema "Software takes command“ in Cottbus stattfindet wird, widmet sich diesen Diskursen.

Literatur:

  • DJI (2016): Digitale Medien: Beratungs-, Handlungs- und Regulierungsbedarf aus Elternperspektive. Abschlussbericht. München
  • EU Kids-Online (2011): Risiken & Sicherheit im Internet. Befunde einer empirischen Untersuchung zur Onlinenutzung von Kindern und Jugendlichen. Überblick über europäische Ergebnisse.
  • EU Kids Online (2012): EU Kids Online: national perspectives. Online verfügbar: http://eprints.lse.ac.uk/46878 [Stand: 15.07.2016]
  • JFF (2016): MoFam – Mobile Medien in der Familie. Langfassung der Studie. München
  • Hans-Bredow-Instituts (2015): Jugendschutzsoftware im Erziehungsalltag. Akzeptanz und Einsatz technischer Hilfsmittel in der elterlichen Medienerziehung. Hamburg
  • Hoffmann, B. et al. (2013): Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche. Eine Bestandsaufnahme. Publikationsversand der Bundesregierung: Rostock.
  • Treumann, K. et al. (2007): Medienhandeln Jugendlicher. Mediennutzung und Medienkompetenz. Bielefelder Medienkompetenzmodell. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Quelle