Anke Domscheit-Berg, Internet und Demokratie: Open Government (2011)

Am 12. Oktober 2011 war Government 2.0 Netzwerk Deutschland Vorstandsmitglied Anke Domscheit-Berg eingeladen, bei der Veranstaltung "Internet und Demokratie" im österreichischen Parlament eine Rede zu halten. Eingeladen war ebenfalls Sir Tim Berners Lee, Erfinder des World Wide Web und einer der Treiber der Open Government/ Open Data Entwicklung in Großbritannien. Nachfolgend der Redetext von Anke Domscheit-Berg abgedruckt – die kursiven Teile wurden bei der mündlichen Rede aus Zeitgründen nicht vorgetragen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

In der digitalen Gesellschaft wollen Bürger_innen nicht mehr nur Rezipienten von Politik sein, die alle 4 Jahre irgendwo ein Kreuzchen machen. Überall auf der Welt ist ihr Wille erkennbar, sich stärker einzubringen. In einer globalen Gesellschaft, deren Werkzeug das Internet ist, inspirieren sich Bevölkerungen gegenseitig – was als arabischer Frühling begann, hört weder an der Wallstreet noch an den Grenzen Europas auf.

Unsere Demokratie muss sich daher in dieser neuen Gesellschaft auch verändern – der Staat muss sich öffnen – aus preussisch geprägtem Beamtentum, basierend auf Amtsgeheimnissen, muss eine offene Verwaltung werden – ein Open Government, dass die Möglichkeiten des Internets für ein neues Miteinander von Bürger-innen und Staat nutzt.

Doch was ist eigentlich dieses Open Government?

Open Government ist keine Technologie sondern eine Strategie, die auf einem anderem Selbstverständnis von Staat aufsetzt. Dabei geht es keineswegs um eine Aufhebung der repräsentativen Demokratie, sondern um eine andere Kultur des Umgangs von Verwaltung und Politik mit Bürgerinnen und Bürgern.

Open Government umfasst 3 Bereiche: Transparenz, neue Formen der Zusammenarbeit und Partizipation.

Ich werde nachfolgend vor allem auf den ersten Bereich eingehen, da er für die anderen beiden notwendige Grundlage ist.

1. Transparenz

Transparenz bezieht sich auf die Öffnung von Daten, auf transparente Prozesse und deren Ergebnisse – von Verwaltungen, Behörden, Parlamenten. Open Data meint dabei alle Arten von Daten in öffentlicher Hand, die nicht personenbezogen sind oder besonderen Sicherheitsanforderungen unterliegen – z.b. Infrastrukturdaten, Umweltdaten, Haushaltsdaten, oder Leistungsdaten; Transparenz bezieht sich darüber hinaus u.a. auch auf Verträge der Verwaltung, Protokolle, Gesetzentwürfe, und auf Informationen wie Nebenverdienste und Nebentätigkeiten von Abgeordneten.

Die gesetzliche Grundlage dafür sind Informationsfreiheitsgesetze in Verbindung mit Open Data Richtlinien. Nach einer kürzlichen Vergleichsuntersuchung der Informationsfreiheitsgesetze von 89 Ländern ist Österreich Schlusslicht in der Qualität des IFG.

(Quelle: Global Right of Information Ranking – von Access Info Europe /Spanien und Centre for Law and Democracy/Canada, bewertete Gesetzestexte nach 61 Kriterien, Daten vom sept. 2011, Rohdaten im Internet nach Ländern abrufbar).

Im österreichischen Informationszugangsgesetz sind Prozesse nicht ausreichend klar, z.B. hinsichtlich zu zahlender Entgelte, Bearbeitungsfristen oder Kooperationspflichten der Behörden. Ausnahmeregelungen entsprechen nicht internationalen Mindeststandards, gesetzliche Regelungen sehen keine Abwägungen des öffentlichen Interesses gegenüber anderen Schutzinteressen vor. Genauso wenig gibt es vernünftige Regelungen für Widersprüche, wenn der Zugang zu Informationen nicht gewährt wird und auch keine Sanktionen gegen Behörden, die rechtswidrig IFG Anfragen nicht oder ungenügend beantworten.

Wie in Deutschland ist in Österreich die gesetzl. Regelung zum Zugang zu Informationen eher ein Amtsgeheimnis-Sicherungsgesetz denn eines, das primär dazu dient, ein Grundrecht auf Information durchzusetzen.

Wo Verwaltungen ineffektiv sind, ergreifen Bürger_innen selbst die Initiative – z.B. in Deutschland mit der Plattform Fragdenstaat.de, die ein einfachstes Stellen von IFG Anfragen ermöglicht und gleichzeitig Transparenz über die Antworten oder Nicht-Antworten und die Dauer der Anfragen herstellt.

Aktuell noch starke Widerstände gegen umfassende Transparenz haben kulturelle Wurzeln. Das Amtsgeheimnis gilt als heilig, man arbeitet in streng hierarchischen Systemen, mit hohem Anspruch und wenig Einblick. Viele empfinden eine Veränderung als Kontroll- und Machtverlust, haben schlicht Angst, bei Fehlern ertappt oder Vergleichen ausgesetzt zu werden, Veränderungen nicht mehr aus dem Wege gehen zu können. Sie sehen ihre Unabhängigkeit in Gefahr, ihr Elfenbeinturm droht einzustürzen. Natürlich sehen das nicht alle so, aber diese Einstellungen sind weit verbreitet, bis in die Spitze der Behörden. Transparenz und Verwaltungskultur beißen sich heute noch in vielen Amtsstuben.

Doch der Nutzen transparenter Verwaltung ist enorm:

  • Besser informierte Bürger können sich sinnvoller an politischen Meinungsbildungsprozessen beteiligen.
  • Transparenz kann verlorenes Vertrauen wieder aufbauen.
  • Leistungsvergleiche zeigen Verbesserungspotenziale und ermöglichen damit einen effizienteren Mitteleinsatz.
  • Öffentliche Dienste werden bedarfsgerechter und Bürger_innen zufriedener.
  • Transparenz ist außerdem die wirksamste Waffe gegen Korruption und Amtsmißbrauch – übel, die es nicht nur in Ländern der 3. Welt gibt sondern auch bei uns. Erst im Licht kann man schwarze von weißen Schafen unterscheiden, und schwarze Schafe gibts überall.

Der 2. Baustein des Opengov: neue Formen der Kooperation, bezieht sich auf eine andere Art zusammenzuarbeiten, innerhalb von Behörden, behördenübergreifend aber auch in der Zusammenarbeit von Behörden mit der Zivilgesellschaft.

Mit den alten Wegen Leistungen zu erbringen, kann Verwaltung heute den neuen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. In Behörden können Wikis zum Wissenstausch gerade in einer stark dem demographischen Wandel ausgesetzten Umgebung das Arbeiten erleichtern. Einige Aufgaben lassen sich am besten in Community Public Partnerships (CPP) – Kooperationen von Zivilgesellschaft mit der Verwaltung erledigen.

Bürger erwarten heute vom Staat eine Servicequalität wie im Privat- und Arbeitsleben. Sie verstehen nicht, dass sie zwar den Status von Postpaketen im Internet überprüfen können, aber nicht den ihres Bauantrags, dass sie touristische Dienstleistungen online bewerten können, aber keine Services der öffentlichen Verwaltung, dass man zwar die nächste Pizzeria sofort online findet, aber keine geeignete Kinderbetreuung. Bürger – nicht nur junge - wollen viel mehr auch online machen können, sie haben weder Zeit noch Lust, Nummern zu ziehen, um ein Papier in Behörde A abzuholen und physisch zu Behörde B zu tragen.

Bürger wollen Apps nutzen, kleine Anwendungen, um alle diese Dinge zu tun, sich barrierefrei durch ihre Stadt zu bewegen, Kinderbetreuung zu finden oder eine Wohnung in einer Gegend mit möglichst wenig Feinstaub – wegen des asthmakranken Kindes. Kompetenzen und Budgets für all diese Services sind nicht annähernd vorhanden, neue Wege sind daher nötig, um diese Anforderungen zu meistern.

CPP – nutzen die Kreativität und Bereitschaft der Bürger_innen, einige dafür erforderliche Lösungen schnell, schön und für wenig Geld zu entwickeln. Das einzige was es dafür braucht, sind geeignete Rahmenbedingungen – also z.b. die Bereitstellung all der dafür notwendigen Daten als Open Data auf einem einfach zugänglichen Portal, maschinenlesbar, mit offener Lizenz – die jede Weiterverarbeitung erlaubt – so wie wir das von vielen anderen Ländern kennen. Es braucht darüberhinaus aber auch Offenheit und Bereitschaft, auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten – der Rest kommt dann von allein.

Beispiele dafür sind:

  • Programmierwettbewerbe analog Apps for Democracy: z.B. Apps für Deutschland, der schon in der Organization ein CPP ist – durch drei NGOs organisiert, mit dem Bundesinnenminister als Schirmherr und Support verschiedenster Behörden. Die Finanzierung erfolgt ausschließlich über Sponsoren und kostet den Staat nichts.

Das Ziel dieses Wettbewerbs ist die Entwicklung von Anwendungen, die offene Daten der Verwaltung verwenden, und einen Mehrwert für Bürger-innen darstellen. Ein erwünschter Nebeneffekt ist die Förderung der Freigabe von Daten in Behördenhand, der schon jetzt erkennbar ist.

  • Auch die Berliner Open Data Aktionsplattform arbeitet als Community Public Partnership. Ihr Ergebnis nach einem Jahr gemeinsamer Arbeit von Teilnehmern aller Hintergründe (Wissenschaftler, Verwaltungsmitarbeiter, NGO-Vertreter, Mitarbeiter_innen aus Unternehmen, Selbständige, Studierende, Journalisten): Das 1. deutsche Open Data Portal , nur 24 Stunden nach dem Launch gab es die erste App (Ozon-App).
  • Es gibt viele weitere Beispiele, bei denen Bürger_innen und Verwaltung gemeinsam Mehrwerte schaffen – ein win win für alle Beteiligten.

Der 3. Bereich des Open Government ist die umfassende Partizipation, also die Einbindung von Bürger_innen auf Augenhöhe – für konsultorische, meinungsbildende Prozesse (z.B. in der Stadtplanung, bei der Haushaltsplanung, oder bei der Entwicklung von Strategien) aber auch ihre Einbindung in direkte Entscheidungen.

Fazit

Der Wandel hin zu einer offenen Gesellschaft läßt sich nicht aufhalten. Politiker und Entscheidungsträger der Verwaltung können dies nicht verhindern.

Längst geht es nicht mehr um das ob sondern nur noch um das wie, wann und mit wem und vor allem – ob man daran richtunggebend beteiligt sein möchte oder ob es ungewollt, ungesteuert und verbunden mit Unfrieden von unten passiert.

Parlamentarier_innen müssen sich daher fragen, ob sie mitgestalten wollen oder nicht.

Unsere Zukunft ist der gläserne Staat, eine Demokratie, die durch bestmögliche und vielfältige Mechanismen der Selbstkontrolle Fehlentwicklungen früh erkennt und korrigieren kann. Verschläft man diese Entwicklung, machen sich die Bürger selbst auf den weg, ihre Parlamente und Regierungen zu öffnen.

Dann wird die Doktorarbeit eines Bundesministers über Internet-crowdsourcing des Plagiats überführt und der Minister gestürzt – wie wir das in Deutschland mit Guttenberg erlebt haben.

  • Apps wie das deutsche Parlameter zeigen das Abstimmungsverhalten aller Parlamentarier im Bund, filterbar nach Einzelentscheidungen und Parteien aber auch nach privaten Kriterien wie geographischer Herkunft, Heiratsstatus, Anzahl der Kinder oder Höhe der Nebeneinnahmen.
  • Das US amerikanische opencongress.org zeigt genau die wirtschaftlichen Verflechtungen der Volksvertreter auf – parallel zu ihrem Abstimmungsverhalten, die Wirkung von Lobbyismus wird so zumindest leichter nachvollziehbar.

Wichtige Dokumente, Geheimverträge aller arten werden einfach ins Netz gestellt, wenn die Herausgabe verweigert wird – so landen Protokolle ebenso im Internet wie umstrittene Verträge.

  • Das passiert auf leaking plattformen wie WikiLeaks oder den Nachfolgern, aber auch immer mehr direkt – der braune Briefumschlag hat Hochkonjunktur. Leaking gehört inzwischen zum Verhaltensrepertoir anständiger Bürger, die auf ihr gewissen hören aber die offene auseinandersetzung scheuen – meist zu recht, denn Whistleblower werden schlecht oder gar nicht geschützt.

Bürger entlarven auch Versuche, statt eines gläsernen Staates einen gläsernen Bürger zu schaffen. Gerade in dieser Woche hat der deutsche Chaos Computer Club den Einsatz eines verfassungswidrigen Staatstrojaners in mehreren Bundesländern in Deutschland nachgewiesen (Twitter: #0zapftis).

Es sei auch daran erinnert, dass die letzten Landtagswahlen in Deutschland vor wenigen Wochen in Berlin der Piratenpartei über 8% einbrachten. In einigen Stadtbezirken war sie mit über 15% drittstärkste Kraft. Die aktuellen Prognosen für eine hypothetische Bundestagswahl liegen ebenfalls bei 8% – bundesweit.

Also was braucht es konkret, um eine Demokratie zu Open Government hin zu entwickeln?

  • Wir brauchen stärkere politische Vorgaben für einen transparenten Staat, wirklich effektive Informationsfreiheitsgesetze und klare Regelungen für die Öffnung von Daten in staatlicher Hand.
  • Politik hat jedoch auch eine Vorbildwirkung: Parlamente sollten sich daher zuallererst öffnen (von Sitzungen mit Livestream-Übertragung und Protokollen zum Download bis zur Veröffentlichung aller Nebeneinnahmen Abgeordneter – in maschinenlesbarer Form).
  • Wir sollten den internationaler Austausch intensivieren: In der globalen Open Government Partnership (OGP) sind bereits 46 Länder beteiligt, von Azerbaidshan bis Uruguay. Allein aus Europa sind u.a. dabei: Spanien, Schweden, Niederlande, Italien, Litauen, Tschechien, Kroatien, Bulgarien, England und Norwegen – Österreich und Deutschland fehlen noch.

Ich möchte, last but not least, die anwesenden gewählten Repräsentanten des Volkes daran erinnern, dass sie zwar Volksvertreter aber keine Volksersetzer sind und ein regelmäßiger Input von Wählerinnen und Wählern ihrer Arbeit nur dienlich sein kann. So regiert es sich einfach besser. So werden wir unsere Demokratie gemeinsam auf eine neue, eine bessere Stufe heben können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Quelle

(Rede bei der Veranstaltung "Internet und Demokratie" im österreichischen Parlament am 12.11,2011, wiedergegeben auf der Website von Government 2.0 Netzwerk Deutschland e.V.
Der Text steht unter einer Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland (CC BY-SA 3.0)