Forderungen für einen Digitalpakt Kinder- und Jugendarbeit (2021)

Der Deutsche Bundesjugendring fordert gemeinsam mit sechs weiteren zentralen Trägern der Jugendarbeit einen Digitalpakt. Es geht um eine Digitalisierungsstrategie, eine Ausstattungsoffensive, Förderprogramme zur flächendeckenden Praxisentwicklung sowie um eine Fortbildungsoffensive für haupt- und ehrenamtliche Akteur*innen der Kinder- und Jugendarbeit. (1.11.2021)

Digitalität[1] prägt die Gesellschaft und damit auch Lebenswelten junger Menschen entscheidend. Sie verändert zunehmend die Praxis, das Portfolio und die Arbeitsabläufe der Kinder- und Jugendarbeit und erfordert, deren Aufgaben weiterzuentwickeln.

Die Covid-19-Pandemie hat zudem als Katalysator gewirkt und das Digitalisierungstempo erhöht. Die Kinder- und Jugendarbeit konnte dabei vielerorts zeigen, dass sie sehr lösungsorientiert und flexibel mit geänderten und neuen Anforderungen umgehen kann. Zugleich wurde deutlich, dass die Akteur*innen der Kinder- und Jugendarbeit in der Breite den fachlichen, ethischen, technischen und rechtlichen Herausforderungen der Digitalität aktuell nur unzureichend begegnen können. Es fehlt an einer modernen digitalen Infrastruktur, an Unterstützung und Wissen sowie an Erfahrungstransfer.

Das Ziel von Jugendarbeit ist, Kindern und Jugendlichen Raum für Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit zu schaffen, mit ihnen gemeinsam gesellschaftliche Entwicklungen zu gestalten und Chancen zur Entfaltung zu öffnen – gerade in einem Transformationsprozess wie der Digitalisierung. Für eine gelingende, positive digitale Transformation der jugendlichen Lebenswelten braucht es deswegen die Potenziale der Kinder und Jugendarbeit. Damit die Kinderrechte gewahrt und die im SGB VIII verankerten Prinzipien auch in analog-digitalen Lebenswelten gesichert und vertreten werden können, bedarf es substanzieller Rahmenbedingungen für eine Digitalisierung in der Kinder- und Jugendarbeit. Es braucht konkret eine finanzielle Förderung, rechtliche Grundlagen und eine differenzierte Digitalisierungsstrategie, um die digitale und fachliche Infrastruktur in der Kinder- und Jugendarbeit innovativ und nachhaltig auszugestalten - für und mit jungen Menschen.

Ein umfassender und durchdachter Digitalpakt Kinder- und Jugendarbeit ist dringend notwendig. Er muss als kinder- und jugendpolitisches Vorhaben verstanden werden, die Träger und Akteur*innen wirksam einbinden und sie darin unterstützen, ihre Orte und Angebote auch im Zuge der Digitalität auszugestalten. Und zwar derart, dass sie

  • jungen Menschen Selbstbestimmung/-organisation, Selbstwirksamkeit und Selbstartikulation ermöglichen,
  • soziale, gesellschaftliche und politische Beteiligung, Engagement und Teilhabe fördern,
  • Frei- und Experimentierräume zur Entfaltung ebenso wie Raum zur kritischen Reflexion bieten,
  • Barrierefreiheit und Inklusion, d. h. Zugänge für Kinder und Jugendliche in unterschiedlichsten Lebenssituationen sichern,
  • die Förder-, Beteiligungs- und Schutzrechte aller jungen Menschen umfänglich gewährleisten.

Ein Digitalpakt Kinder- und Jugendarbeit muss im Zusammenschluss der unterschiedlichen Trägerbereiche in der Kinder- und Jugendarbeit entstehen, damit sie gemeinsam ihre Anliegen bündeln und ihre jeweiligen Expertisen einbringen können. Die bundeszentralen Infrastrukturen der Kinder- und Jugendarbeit leisten gemeinsam Beiträge zur überregionalen fachlichen und fachpolitischen Weiterentwicklung und Innovation. Sie sind als zivilgesellschaftliche Träger/Verbände wichtige Schnittstellen, weil sie zusammen mit ihren Mitgliedern und Netzwerken die Entwicklung und Umsetzung von Strategien und Maßnahmen für neue Angebots- und Arbeitsstrukturen vorantreiben können.

Ein Digitalpakt Kinder- und Jugendarbeit steht gleichwertig auf einer Ebene mit einem Digitalpakt Kinder- und Jugendhilfe sowie dem bestehenden Digitalpakt Schule. Dabei müssen Erfahrungen aus dem bestehenden Digitalpakt Schule gezogen werden, um Fehler wie zum Beispiel eine Engführung auf technische Ausstattung, zu vermeiden.

Schwerpunkte in der Umsetzung

Ein Digitalpakt Kinder- und Jugendarbeit beinhaltet ein umfassendes Maßnahmenpaket mit vier ineinandergreifenden Schwerpunkten:

  1. Eine Digitalisierungsstrategie der bundeszentralen Infrastrukturen der Kinder- und Jugendarbeit,

  2. Eine Ausstattungsoffensive in den Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit,

  3. Förderprogramme zur flächendeckenden Praxisentwicklung, -erprobung und -reflexion,

  4. Eine Fortbildungsoffensive für haupt- und ehrenamtliche Akteur*innen der Kinder- und Jugendarbeit.

Maßnahme 1: Digitalisierungsstrategie der bundeszentralen Infrastrukturen der Kinder- und Jugendarbeit

Grundlage bilden Konzepte der bundeszentralen Infrastrukturen, die den jeweiligen Bedarf ihres Handlungsfelds aufgreifen und in konkrete Innovations-, Entwicklungs- und Implementierungsmaßnahmen übersetzen. Dafür benötigen sie zusätzliche Ressourcen für Erprobungsmodelle, Personal und nachhaltige Strukturveränderungen. Neben der fachlichen Weiterentwicklung der Bundesstrukturen ist auch die Veränderung der verbandlichen Arbeit infolge zunehmender Digitalisierung (und Digitalität) zu berücksichtigen und die Entwicklung erfolgreicher Modelle voranzutreiben.

Maßnahme 2: Ausstattungsoffensive in den Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe

Die Ausstattung mit digitaler Infrastruktur ist ein elementarer Baustein für eine gelingende Digitalisierungsstrategie. Stabile und leistungsfähige Internetverbindungen sowie geeignete Hard- und Software sind eine unerlässliche Basis, die verschiedenen geografischen und sozialen Lebensumständen Rechnung trägt sowie Benachteiligungen verhindert bzw. zu reduzieren hilft. Dazu zählen auch Wartungskosten und dauerhafte Ressourcen für die digitale Administration.

Monopolhaften Plattformen und wenig datenschutzsensiblen Anbietern im digitalen Raum sind Alternativen entgegenzusetzen – entsprechend sollte die Entwicklung, Weiterentwicklung, Erprobung und Implementierung gemeinwohlorientierter Programme/Plattformen und von nachhaltigen Open-Source-Lösungen gefördert werden.

Maßnahme 3: Förderprogramme zur flächendeckenden Praxisentwicklung vor Ort

Von den bundeszentralen Infrastrukturen administrierte Förderprogramme für eine flächendeckende Praxis-Entwicklung, -Erprobung und -Reflexion sollen in allen Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit verankert werden, so in der kulturellen Kinder- und Jugendbildung, der Jugendverbandsarbeit, in der politischen Jugendbildung, der offenen Kinder- und Jugendarbeit, im Sport, in der internationalen Jugendarbeit und in der Jugendsozialarbeit[2]. In diesen Programmen sollte es durch Praxisförderung und -vernetzung den Trägern und jungen Menschen einerseits ermöglicht werden, Entwicklungs- und Experimentierräume zu erschließen, um das kreative und innovative Potenzial der Digitalisierung auszuloten und in kinder- und jugendpolitisch fundierte Praxiskonzeptionen umzusetzen. Anderseits gehört hier auch die Reflexion und (Weiter-)Entwicklung von barrierefreien und sicheren Tools dazu.

Förderprogramme sind meist auf Innovation ausgerichtet. Digitalisierung ist aber nicht per se neu und innovativ. Digitalisierung bedeutet, dass bestehende Abläufe und Prozesse justiert und verbessert werden müssen. Sie bedeutet vor allem: Stärker Digitales zu nutzen, um mehr Zeit für die Kernaufgabe der Jugendarbeit zu schaffen, die nicht digital abgebildet werden können.

Maßnahme 4: Fortbildungsoffensive für die Akteur*innen der Kinder- und Jugendarbeit

Weiterhin gilt es, dass insbesondere die haupt- und ehrenamtlichen Akteur*innen der Kinder- und Jugendarbeit auf allen Ebenen spezifische und wiederkehrende Fortbildungsangebote erhalten, damit sie qualitativ hochwertige analog-digitale Arbeit im Sinne des SGB VIII entwickeln und umsetzen können. Dabei können zivilgesellschaftliche Fachstrukturen nicht nur die konkreten Bedarfe bündeln, sondern auch jeweils passende Fortbildungscurricula und -konzepte entwickeln und implementieren, begleitende Tools und Materialien zur Verfügung stellen sowie konkrete Unterstützung und Beratung anbieten.

Die Forderungen für einen Digitalpakt Jugendarbeit werden formuliert und getragen von:

  • Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB)
  • BAG Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen e. V. (BAG OKJE)
  • Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ)
  • Deutscher Bundesjugendring (DBJR)
  • Deutsche Sportjugend im DOSB (dsj)
  • IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e. V. (IJAB)
  • Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit

Diese bundeszentralen Strukturen sehen sich als Partner für die Entwicklung und Umsetzung eines Digitalpaktes Jugendarbeit.

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[1] Die Verbände der Jugendarbeit verstehen Digitalität als einen umfassenden gesellschaftlichen Veränderungsprozess. Sie verschränkt digitale und analoge Alltagswelten untrennbar und verändert damit sowohl die Wahrnehmung und das Denken als auch die kommunikativen und sozialen Praktiken. Digitalisierung ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Entwicklung, der hauptsächlich auf technischen Entwicklungen beruht und Arbeits- und Kommunikationsprozesse mittels digitaler Hard- und Software-Lösungen verändert. Ein Digitalpakt Jugendarbeit muss beide Dimensionen berücksichtigen.

[2] Die Jugendsozialarbeit hat ihre spezifischen Bedarfe bereits in einem Papier dargestellt: https://jugendsozialarbeit.de/wp-content/uploads/2021/09/Zwischenruf_-Forderung-digitaler-Teilhabe_-092021.pdf

Quelle: Deutscher Bundesjugendring