Peter Schaar, Datenschutz und Informationsfreiheit: Zwei Seiten einer Medaille (2011)
Als Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit werde ich häufig gefragt: "Datenschutz und Informationsfreiheit – das passt doch eigentlich gar nicht zusammen, oder?" Richtig verstanden sind Datenschutz und Informationsfreiheit komplementär, ergänzen sich also. Informationsfreiheit und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung passen sehr gut zusammen, begründen doch beide Aspekte einen neuen selbstbewussten Umgang mit Informationen. Man könnte fast sagen: Transparenz und Datenschutz sind zwei Seiten einer Medaille.
Einerseits soll der Einzelne in die Lage versetzt werden, selbstbestimmt mit seinen persönlichen Daten umzugehen – zu entscheiden, ob beispielsweise ein Unternehmen seine Daten auswerten oder gar weitergeben darf. Andererseits sollen Verwaltungen ihr Handeln für die Bürgerinnen und Bürger transparent machen und Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit ablegen.
Wo keine Informationsungleichgewichte bestehen und kein Wissensmonopol herrscht, kann sich der Einzelne einbringen, am demokratischen Entscheidungsprozess partizipieren. Transparenz fördert die Rationalität von Verwaltungsentscheidungen, verhindert unsachliche Einflussnahmen und kann zu nachhaltigeren, von einem breiten Konsens getragenen, Entscheidungen führen. Diese Ziele lassen sich jedoch nur dann erreichen, wenn amtliche Informationen nicht nur irgendwie und irgendwo verstreut und eher zufällig ins Netz gestellt werden, sondern strukturiert, nutzerfreundlich und umfassend verfügbar sind.
Soweit sind längst aber noch nicht alle Verwaltungen. Die Haltung "Meine Akten gehören mir" und der Grundsatz des Amtsgeheimnisses sind noch in vielen Köpfen – oftmals auch unbewusst – verankert. Zudem ist in manchen Behörden die Erkenntnis noch nicht angekommen, dass die frühzeitige Aufbereitung von Informationen, z. B. über große Planungsvorhaben, zwar kurzfristig Arbeit verursacht, längerfristig aber zu transparenten und deshalb konsensfähigen, effizienten und effektiven Entscheidungen beitragen kann. Frühzeitige, aktive Information fördert den Konsens und das Vertrauen in die staatliche und kommunale Verwaltung, schafft Frieden und reduziert auf diese Weise die Zahl von Widersprüchen und Klagen und damit mittelfristig "per saldo" also auch den Verwaltungsaufwand. Schließlich hapert es oftmals auch am Wissen, wie Informationen nutzerfreundlich aufbereitet werden können.
Den zentralen "rechtlichen Hebel" für die Herstellung von Transparenz als Voraussetzung jeglicher Partizipation stellen die Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Länder dar. Die Informationsfreiheitsgesetze gewährleisten einen voraussetzungslosen Zugang zu Informationen öffentlicher Stellen. Im Unterschied zum allgemeinen Verwaltungsrecht besteht ein Anspruch auf Informationszugang auch für diejenigen, die in die entsprechenden Verfahren nicht einbezogen sind. Jedermann hat einen entsprechenden gesetzlichen Anspruch.
Leider gibt es hier noch viele Baustellen: Immer noch haben nicht alle Bundesländer Informationsfreiheitsgesetze verabschiedet. Außerdem gibt es (auch im Vergleich zu entsprechenden Regelungen in anderen Staaten) zu viele Ausnahmetatbestände, und keine echte Interessenabwägung (Public Interest-Test). So wird jeglicher Informationszugang verweigert, wenn Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse betroffenen sein könnten. Gerade für den juristischen Laien ist es schwierig zu erkennen, nach welcher gesetzlichen Regelung er einen Anspruch geltend machen kann (Informationsfreiheitsgesetz, Umweltinformationsgesetz oder Verbraucherinformationsgesetz). Vielfach behindern auch bürokratische Verfahren die Informationsbereitstellung.
Von der laufenden wissenschaftlichen Bewertung ("Evaluation") des Informationsfreiheitsgesetzes erwarte ich, dass Beschränkungen und Ausnahmen kritisch hinterfragt werden und der Informationszugang (zunächst auf Bundesebene) zu einem noch wirksameren Instrument einer offenen Informationsgesellschaft werden kann. Die Evaluation soll im Frühjahr 2012 abgeschlossen werden.
Zu den beschriebenen Baustellen gesellt sich vielleicht bald eine weitere: Immer neue Ideen und Initiativen fördern und fordern den Zugang zu unterschiedlichsten Informationen ("Open Data"), haben dabei rechtliche und/oder technische Gestaltungsansprüche an den Informationszugang. So sehr ich diese Initiativen begrüße – sie sollten allerdings effektiv in einer zentralen Strategie gebündelt werden. Statt einer Vielzahl unterschiedlicher, nicht miteinander kompatibler und unterschiedlich zu bedienender Plattformen wäre es sehr nützlich, wenn gemeinsame Standards oder Informationsplattformen entstehen würden. Hier ist Raum für private Initiative, aber auch der Staat hat hier eine Bringschuld.
In ihrem Programm "Vernetzte und transparente Verwaltung" setzt sich die Bundesregierung das Ziel, bis 2013 eine gemeinsame Strategie für ein offenes Regierungshandeln zu erarbeiten und umzusetzen. Zu meinem Bedauern hat sie es aber bisher versäumt, die "Open Government Declaration" zu unterstützen. Ich hoffe, dass sich Deutschland derartigen internationalen Initiativen nicht länger verschließt, sondern mutig voranschreitet.
Offenes Regierungshandeln kommt aber nicht ohne einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf freien Zugang zu amtlichen Informationen aus, denn nur auf diesem Wege lassen sich unterschiedliche Ansprüche (z.B. zwischen öffentlichem Informationsinteresse und dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen) sinnvoll ausbalancieren. Eine verfassungsrechtliche Verankerung der Informationsfreiheit hat jüngst auch die Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten in Deutschland gefordert.
Quelle
(Gastbeitrag von Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, auf der Website von Government 2.0 Netzwerk Deutschland e.V.
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