Bremer Erklärung: Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern heute - Fachleute für das Lernen
Gemeinsame Erklärung des Präsidenten der Kultusministerkonferenz und der Vorsitzenden der Bildungs- und Lehrergewerkschaften sowie ihrer Spitzenorganisationen Deutscher Gewerkschaftsbund DGB und DBB - Beamtenbund und Tarifunion. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 5.10.2000
I. Die Kultusminister und die Bildungs- und Lehrergewerkschaften
erklären ihre gemeinsame Verantwortung für die Erfüllung der Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern heute, für die gesellschaftliche Würdigung und Achtung des Berufsstandes, ihrer pädagogischen Arbeit und die Sicherung angemessener Rahmenbedingungen.
Alte und neue Herausforderungen an Bildung und Erziehung können besser bewältigt werden, wenn Kultusminister und Lehrkräfte gemeinsam die Qualität der Schulen und des Unterrichts fördern und weiter entwickeln und die Schülerinnen und Schüler so auf ihre zukünftigen individuellen und gesellschaftlichen Aufgaben bestmöglich vorbereitet werden.
Die von der Kultusministerkonferenz eingesetzte Kommission "Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland" hat in ihrem Abschlussbericht ein Leitbild für den Lehrerberuf formuliert, das eine Grundlage für diese Erklärung ist.
II. Die Zukunftsaufgaben von Bildung und Erziehung
werden vor allem geprägt sein durch
- den Wandel zur Wissensgesellschaft und die neuen Medien,
- den sich beschleunigenden Fortschritt in Wissenschaft und Forschung,
- die Entwicklung einer europäischen Dimension,
- die Dynamik der Globalisierung und der Interkulturalität,
- die Weiterentwicklung der demokratischen Kultur,
- die Bedeutung einer sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit,
- die Gestaltung gleichwertiger Lebens- und Bildungschancen,
- die Stärkung von individueller Identität und gesellschaftlicher Integration,
- die Sicherung von Frieden und Gewaltfreiheit.
III. Lehrerinnen und Lehrer sind Fachleute für das Lernen,
ihre Kernaufgabe ist die gezielte und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie ihre individuelle Bewertung und systemische Evaluation.
Sie vermitteln grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten in Methoden, die es dem Einzelnen ermöglichen, selbständig den Prozess des lebenslangen Lernens zu meistern. Die Qualität einer guten Schule und die Wirksamkeit eines guten Unterrichts werden entscheidend durch die professionellen und die menschlichen Fähigkeiten von Lehrerinnen und Lehrern geprägt. Für die berufliche Arbeit sind umfassende fachwissenschaftliche wie auch pädagogisch-didaktische und soziologisch-psychologische Kompetenzen sowie kommunikative und soziale Fähigkeiten erforderlich.
Schülerinnen und Schüler müssen spüren, dass ihre Lehrerinnen und Lehrer "ein Herz" für sie haben, sich für ihre individuellen Lebensbedingungen und Lernmöglichkeiten interessieren und sie entsprechend fördern und motivieren, sie fordern, aber nicht überfordern. Verantwortung, Bereitschaft und glaubwürdiges Handeln aller Lehrerinnen und Lehrer auch für ein gutes Schulklima und ein partnerschaftliches Schulleben sind dafür förderliche Voraussetzungen. Dafür ist die praktische Zusammenarbeit der Lehrenden erforderlich und notwendig, insbesondere auch bei der glaubwürdigen Vermittlung von Teamfähigkeit bei den Lernenden.
IV. Lehrerinnen und Lehrer sind sich bewusst, dass die Erziehungsaufgabe
in der Schule eng mit dem Unterricht und dem Schulleben verknüpft ist. Erziehung ist die bewusste und absichtsvolle Einflussnahme auf die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen. Positive Wertorientierungen, Haltungen und Handlungen können nur überzeugend beeinflusst werden, wenn Lehrerinnen und Lehrer auch als Vorbilder für Kinder und Jugendliche wirken und sich dessen bewusst sind. Erziehung und Persönlichkeitsbildung gelingen umso besser, je enger die Zusammenarbeit mit den Eltern gestaltet wird und diese auch ihre Erziehungsaufgabe aktiv und verantwortungsvoll wahrnehmen. Dies gilt umso mehr, als den Eltern natürlicherweise und auch nach der Verfassung in erster Linie die Erziehungspflicht obliegt. Beide Seiten müssen sich rechtzeitig gegenseitig verständigen und gemeinsam bereit sein, konstruktive Lösungen zu finden, wenn es zu Erziehungsproblemen kommt oder Lernprozesse misslingen. Dazu dient auch die Kooperation mit Fachkräften außerhalb der Schule.
V. Lehrerinnen und Lehrer üben ihre Beurteilungsaufgabe
im Unterricht und bei der Vergabe von Berechtigungen für Ausbildungs- und Berufswege kompetent, gerecht und verantwortungsbewusst aus. Dafür sind hohe pädagogischpsychologische und diagnostische Kompetenzen von Lehrkräften erforderlich sowie die motivierende Kommunikation untereinander und die hilfreiche Beratung der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern. Junge Menschen müssen in der Schule erfahren, dass sie fair und gerecht behandelt und beurteilt werden und sie ihre Bildungschancen voll ausschöpfen können. Lehrkräfte helfen ihnen, ihre eigene Leistungsfähigkeit und Anstrengungsbereitschaft einzuschätzen und zu steigern.
VI. Lehrerinnen und Lehrer entwickeln ihre Kompetenzen ständig weiter
und nutzen geeignete Fort- und Weiterbildungsangebote, um die neuen Entwicklungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse in ihrer beruflichen Tätigkeit zu berücksichtigen und zu nutzen. Wie in anderen Berufen auch, ist die ständige Fort- und Weiterbildung ein wesentlicher und notwendiger Bestandteil ihrer beruflichen Tätigkeit. Darüber hinaus sollen Lehrerinnen und Lehrer ständige Kontakte zur Arbeitswelt pflegen.
Den Anschluss an wissenschaftliche, ökonomische und technologische Entwicklungen in der Berufswelt zu halten, ist eine Aufgabe, der sich in besonderer Weise die Lehrkräfte verpflichtet fühlen. Unbeschadet der spezifischen Aufgaben in den einzelnen Schularten ist für Lehrkräfte an beruflichen Schulen die ständige Kooperation mit dem Lernort Betrieb bzw. außerbetriebliche Einrichtung unerlässlich; die Kooperation mit und der Kontakt zu beiden Sozialpartnern, der Arbeitsverwaltung, der Jugendhilfe und anderen Akteuren in der Berufsausbildung sowie mit Einrichtungen der Weiterbildung wird immer wichtiger.
Die zeitgemäße Erfüllung ihrer Aufgaben prägt das Berufsethos und das Ansehen der Lehrerschaft in der Öffentlichkeit
VII. Lehrerinnen und Lehrer beteiligen sich an der Schulentwicklung
und der Gestaltung einer lernförderlichen Schulkultur und eines motivierenden Schulklimas. Die Schule ist kein von der Gesellschaft abgesonderter Raum. Lehrerinnen und Lehrer sind deshalb in wachsendem Maße gefordert, Schüler und Eltern zu beraten, in schulübergreifenden Gremien und Institutionen mitzuarbeiten, Aufgaben und Verantwortung bei der eigenständigen Verwaltung der Schule zu übernehmen.
Gute Lernbedingungen können nur in einer lernfähigen Schule gesichert werden. Je mehr eine Schule eine gemeinsame Identität entwickelt und fördert, umso besser gelingen die Lehr- und Lernprozesse. Für die innere und äußere Schulentwicklung und die Umsetzung eines Schulprogramms sind aktive Mitwirkung, Mitverantwortung und Teamarbeit erforderlich. Dazu gehören auch die Kooperation mit Experten und außerschulischen Einrichtungen, d.h. die Öffnung von Schule. Schülerinnen und Schüler können viel aus der beruflichen und gesellschaftlichen Praxis außerhalb der Schule lernen. Daher ist es sinnvoll, dass außerschulische Partner in geeigneter Form am Lernprozess mitwirken und ihre professionelle Kompetenz und Überzeugungskraft einbringen.
VIII. Lehrerinnen und Lehrer unterstützen die interne und externe Evaluation
der Lehr- und Lernprozesse, der Gestaltung des Schulprogramms und des Schullebens. Interne Evaluation bedeutet, dass die Verantwortung für die Gestaltung und Durchführung in der einzelnen Schule liegt und von Personen durchgeführt wird, die in der Schule arbeiten. Externe Evaluation bedeutet, dass die Verantwortung und Durchführung außerhalb der Schule liegt und in enger Kooperation mit der Schule von Personen durchgeführt wird, die nicht in der Schule arbeiten. Lehrkräfte sind in der Weise zu beteiligen, dass sie Evaluationsverfahren zweckmäßig einsetzen und deren Ergebnisse interpretieren können.
Faire und wissenschaftlich fundierte Leistungsvergleiche sind Bestandteil von Evaluation; sie sollen der Qualitätsanalyse von Unterricht und Schule dienen. Das Ansehen des Bildungssystems, der verantwortlichen Politiker und ihrer Verwaltung sowie der Lehrerschaft wird nicht zuletzt von der Zufriedenheit aller Beteiligten und der Bewertung in der Öffentlichkeit geprägt.
IX. Lehrerinnen und Lehrer können Unterstützung erwarten,
so dass sie von der Öffentlichkeit, den Eltern, der Wirtschaft, den Hochschulen und den Medien Rückhalt erfahren bei der Erfüllung ihrer verantwortungsvollen und schwierigen Aufgabe. Es ist Verpflichtung und Verantwortung von Bildungspolitik und Bildungsverwaltung für Lehrerinnen und Lehrer die erforderlichen Rahmenbedingungen zu sichern, damit sie den hohen Erwartungen gerecht werden können. Dazu gehört auch, sie vor ungerechtfertigten und pauschalen Vorwürfen zu schützen; sie bei ihrer Arbeit nach besten Kräften zu unterstützen und das Arbeitsklima und die Berufsmotivation zu fördern. Konkret sind dafür Angebote zur Beratung, Fortbildung und beruflichen Weiterqualifizierung für Lehrkräfte bereitzustellen. Die Achtung und Anerkennung ihres Berufes und ihrer Tätigkeit in der Gesellschaft sind entscheidende Voraussetzungen, damit Lehrerinnen und Lehrer ihre schwierige Aufgabe auf Dauer bewältigen können.
X. Alle Beteiligten sind aufgerufen,
in diesem Sinne gemeinsam an der qualitativen Weiterentwicklung des Bildungssystems und der Schulen mitzuwirken.