Bernd Schorb - Vermittlung von Medienkompetenz als gesellschaftspolitischer Auftrag

Lassen Sie mich das Resümee meiner Ausführungen - und entschuldigen Sie bitte, daß diese auch etwas theoretisch sein werden - vorwegnehmen:

Offene Kanäle - ihre Idee und vor allem ihre Realisierung - sind heute notwendiger denn je. Die unübersichtliche Menge der medialen Angebote, deren einzige Funktion die Realisierung von Gewinnen ist, wird nur zu bewältigen sein mit Menschen, die kompetent sind, weil sie die Möglichkeit und Chance haben, Medien als das zu erkennen und zu nutzen, was sie eigentlich sein sollten, Mittler menschlicher Kommunikation. Schon dieser bescheidene Anspruch läßt sich nur dann erfüllen, wenn den Menschen die Chance gegeben wird, die Potentialität der Medien jenseits des Kommerzes zu begreifen. Und zum Begreifen gehört - daher der Begriff -, daß der Kopf über den Gebrauch der Hand lernt, daß Theorie und Praxis miteinander verbunden werden!

Lassen Sie mich diesen Gedanken systematisch entwickeln:
In den letzten fünfzehn Jahren haben sich die Medien den Stellenwert geschaffen, den Euphoriker wie Skeptiker immer vorausgesagt haben. Sie sind in alle Lebensbereiche eingedrungen und beeinflussen diese oder steuern sie sogar. Die Gesellschaft der Zukunft heißt Informationsgesellschaft und das Zauberwort für Modernität, Subventionen und auch Scharlatanerie lautet Multimedia. Und unsere Zukunft nennen die Modernisierer eine Medienzukunft. Aber wie diese Zukunft wirklich aussieht, das weiß keiner so recht. Die mit den diversen Zukunftsszenarios verbundenen positiven Träume sind zerplatzt, zumindest im sozialen Bereich, trotz der vielfältigen neuen technischen Errungenschaften. Weder haben die Medien die Löcher stopfen können, die sie in unsere Gesellschaft gerissen haben, noch haben sie gar die neue medial-demokratische Gesellschaft geschaffen. Mit anderen Worten: Die wegrationalisierten Arbeitsplätze sind weg und die neuen immer noch nicht da. Demokratischer ist die Gesellschaft auch durch die Möglichkeit, sich besser und öffentlich zu artikulieren, nicht geworden. Auch unsere Hoffnungen auf die Schaffung neuer Öffentlichkeit für jene, denen die veröffentlichte Meinung verschlossen bleibt oder die Aktivierung der Bevölkerung, sich der Medien als Artikulationsmittel zu bedienen, haben sich höchstens ansatzweise erfüllt. Die Technik hat sich tatsächlich weiterentwickelt, da brauchen wir uns nur in den Studios, den bestehenden offenen Kanälen aber auch den Haushalten umzuschauen, aber der Mensch und seine Gesellschaft sind noch immer die alten. Und , so glaube ich, wir sollten uns auch nicht all zu viel von der multimedialen Zukunft erwarten, denn jede, auch diese, wird auf den existenten Bedingungen dieser Welt aufbauen und darin manches Phänomen pointieren, ausbauen und verstärken, aber wohl kaum grundsätzlich ändern, zumal die Entwicklung von Technik und menschlichem Bewußtsein keineswegs synchron verlaufen. Wie langsam sich das Bewußtsein entwickelt, kann man am besten an den beliebten Zukunftsromanen ablesen. Die Phantasieleistung der entsprechenden Autoren reicht meist dazu, absurde Techniken, die kaum jemals zu realisieren sind, zu erfinden, wie beispielsweise das 'Beamen'. Die sozialen Verhältnisse und Verhaltensweisen, die beschrieben werden, jedoch sind meist die der Gegenwart oder noch schlimmer die des Feudalismus oder gar der Steinzeit. Da wimmelt es von einsamen Helden, Königen, absoluten Herrschern und ähnlichen antiquierten und reaktionären Gebilden.

Um zu ahnen, was sich wirklich verändern wird, lohnt es sich, aus der Vergangenheit der letzten fünfzehn Jahre in die Zukunft zu blicken. Wir stellen dann fest, daß uns diese Jahre viel Medientechnik und eine Dominanz der Medien in nahezu allen Lebensbereichen gebracht haben. Aber die innere Art unseres Zusammenlebens, unsere soziale und politische Kultur haben sich eben nicht wie die Medien sprunghaft weiterentwickelt, sondern sind stehengeblieben, streng bemüht an Überliefertem festzuhalten.

Vielleicht hängt aber gerade die Tatsache, daß Konsensualität und Konformismus heute eine so hohe Bedeutung haben, mit der Medienentwicklung zusammen. Die Übernahme so vieler Lebensbereiche durch digitale Medien, die hier bereits steuern und lenken, führt uns immer wieder vor Augen, daß wir selbst diese Entwicklung nicht gesteuert haben, nicht steuern konnten. Alle unsere Versuche, uns beispielsweise in unserer Privatsphäre zu schützen, sind gescheitert. Vom Datenschutz spricht heute kaum noch einer. Trotz bestehender Gesetze sind unsere Daten überall gespeichert und das zerbrechliche Wesen 'gläserner Mensch' ist längst Faktum.

Die Ahnung, daß der Mensch auch mit Multimedia wieder eine Technik geschaffen hat, die er letztlich nicht beherrscht, hat zu zwei Konsequenzen geführt, deren zweite wir uns dienstbar machen sollten.

Die erste Konsequenz nennt sich 'Deregulierung'. Vordergründig ist damit gemeint, daß die starren Vorschriften, in die angeblich heute Telekommunikation eingebunden ist, gelockert und letztlich beseitigt werden. Tatsächlich bedeutet es, daß Politik sich für handlungsunfähig erklärt und deshalb das, was sie glaubt nicht beeinflussen zu können, laufen läßt und nicht durch sowieso unwirksame Vorschriften verlangsamt. Und sie bedeutet in ihrer Ausprägung als Wirtschaftsliberalismus leider auch, daß darauf verzichtet wird, die Techniken mit den Mitteln, die über Kabelgroschen oder Steuern von allen Menschen aufgebracht werden, auch der Qualifizierung der Menschen zugute kommen zu lassen, sondern sie bestenfalls der Industrie zufließen zu lassen.

Die zweite Konsequenz firmiert als Forderung nach Medienkompetenz, also der Ausbildung der Menschen, die Medien bedienen und im Idealfall auch beherrschen zu können. Zwar wird unter Medienkompetenz häufig nichts anderes als die schlichte Fertigkeit verstanden, Geräte bedienen zu können, also sich den Medien unterzuordnen, aber hier soll der Begriff richtig und weit gefaßt werden als Fähigkeit: intellektuell, affektiv und produktiv.

Hierzu möchte ich im folgenden einige Gedanken beitragen: Beläßt man es nicht bei der rein zweckorientierten Verwendung des Begriffs Medienkompetenz, sondern ordnet ihn in die medienpädagogische Theorie ein, so ist Medienkompetenz eine Aktualisierung und zugleich aktuelle Reduktion des Begriffs der kommunikativen Kompetenz. Medienkompetenz umschreibt die Verbindung des Subjekts zur medialen Kommunikation. Unter kommunikativer Kompetenz hingegen ist die umfassende Fähigkeit der personalen Kommunikation zu verstehen, unabhängig von und in ihrer Vermittlung durch Medien. Darüber hinaus impliziert der Begriff der kommunikativen Kompetenz nicht allein die Fähigkeit, Kommunikate zu übertragen, sondern weitergehend die Kompetenz, an gesellschaftlicher Kommunikation als politisch konstitutivem Element aktiv teilzuhaben und somit Öffentlichkeit zu schaffen - verstanden als das Recht aller auf Artikulation und Gehör. Die pädagogische Handlungsdimension des Begriffs hat Baacke so beschrieben: "Ist Öffentlichkeit in all ihren Erscheinungsformen ein System, mehr und mehr produziert und beherrscht von Public-relations-Managern und Meinungsmachern, so ist die Organisation von Erziehungsprozessen so anzulegen, daß wir unsere unmittelbaren Erfahrungen und die aus ihnen resultierenden Interessen gegen die gemachte Kommunikation zu halten und zu behaupten lernen. Dafür Möglichkeiten bereitzustellen, erfordert nicht nur Korrekturen in den Erziehungsstrategien des 'Bildungssystems' und des 'Systems der Massenkommunikation', sondern auch die Eröffnung von neuen Räumen kommunikativer Teilhabe." (Baacke 1973, S. 363 f)

Mit dieser Aussage verweist Baacke darauf, daß die Grundlage der Entfaltung des Begriffs kommunikative Kompetenz eine theoretische ist. Gesellschaftstheoretisch liegt ihr Bezug in der Analyse der kapitalistischen Gesellschaft als einer dem Anspruch nach für ihre Mitglieder chancengleichen, in der Realisierung jedoch gegliederten, mit unterschiedlichen Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten für diejenigen, die über Produktionsmittel verfügen und den Rest der Gesellschaft. Im Bereich der veröffentlichten Kommunikation bedeutet dies, daß Information dort, wo sie öffentlich gemacht wird, ein für den Markt gefertigtes Produkt ist. Als solches unterliegt es der Ratio und dem Kalkül der informationsproduzierenden Industrie. In der Konsequenz ist eine deutliche Trennung im Zugang zur veröffentlichten Kommunikation zwischen Produzenten und Konsumenten zu konstatieren. An diesem Grundverhältnis hat sich bei allem Neuen bis heute nichts geändert!

Adorno hat diese Verbindung des herrschenden ökonomischen Prinzips mit der Gedanken- und Vorstellungswelt der Menschen unter dem Begriff der bewußtseinsproduzierenden Industrie gefaßt, womit er die Zielrichtung des Produktes Information angibt, nämlich die Beeinflussung des menschlichen Denkens und - vermittelt - auch Handelns. Er betrachtet mediale Kommunikation als eine Ware, die darauf ausgerichtet ist, neben die erfahr- und erlebbare Realität eine zweite zu setzen, die als vorgefertigte wiederum das Bewußtsein der Menschen von ihrem Sein beeinflußt. Zur Analyse, daß veröffentlichte Kommunikation von 'Public-relations-Managern und Meinungsmachern' beherrscht wird und der Mehrzahl der Gesellschaftsmitglieder mediale Artikulations- und Kommunikationsmöglichkeiten vorenthalten werden, tritt die theoretische Bestimmung von Erziehung als kommunikativem Akt und zugleich von Kommunikation als Prozeß der erzieherischen Beeinflussung. Kommunikation ist dabei nicht gefaßt als bloßer Austausch von Symbolen, direkt oder über Medien als Symbolträger, sondern auch als konkretes Handeln, was immer auch Mitteilungscharakter an andere besitzt und zugleich strukturiert und inhaltlich mitbestimmt ist durch Kommunikation mit Symbolen.

Auf dieser Grundlage läßt sich kommunikative Kompetenz als Fähigkeit fassen, die vorherrschenden Blockierungen des Bewußtseins zu überwinden in der Herstellung von symmetrischen Kommunikationsprozessen, in denen alle Teilnehmer dieses Prozesses potentiell gleichberechtigt sind.

Kommunikative Kompetenz als umfassende Fähigkeit zur gleichberechtigten und aktiven sozialen wie gesellschaftlichen Partizipation enthält somit drei Komponenten: "einmal eine analytische Komponente, die sich ausdrückt in der Fähigkeit, in einem kollektiven Erkenntnisprozeß, den durch Massenmedien konstituierten Blockierungszusammenhang zu durch-brechen und so ihr Wesen zu begreifen und in der Fähigkeit, in einem gemeinsamen Reflexionsprozeß Möglichkeiten zur Überwindung der festgestellten Ursachen für den Blockierungszusammenhang individuellen Bewußtseins zu benennen; zum zweiten eine kreative Komponente, die sich ausdrückt in der Fähigkeit, den herrschenden Kommunikationsstrukturen andere entgegenzusetzen, verbunden mit Strategien zur Vermittlung und zur Durchsetzung der eigenen kollektiven Interessen; und schließlich die kommunikative Komponente, die sich ausdrückt in der Fähigkeit der adäquaten, und d.h. reflektierten Erfahrungsbewältigung und -darstellung." (Schorb, Mohn, Theunert 1980, S. 622).

Diese umfassende Begriffsbestimmung hat seit ihrer Entstehung und Debatte im wissenschaftlichen Diskurs zunehmend auch an realer Bedeutung gewonnen. War in den siebziger Jahren noch eine deutliche Trennung zwischen veröffentlichter Massenkommunikation und privater Individualkommunikation zu konstatieren, so verschwimmt heute mit der Digitalisierung nahezu aller Medien und ihrer weltweiten Vernetzung diese Differenz. Private und öffentliche Kommunikation nutzen nicht nur die gleichen Medien, sondern - betrachtet man beispielsweise das Internet - der Zugriff auf veröffentlichte Kommunikate ist individuell und die individuelle Kommunikation öffentlich zugänglich. Zugleich wird nicht nur die veröffentlichte Kommunikation kommerziell betrieben, nachdem auch der früher nur öffentlich-rechtliche Rundfunk teilprivatisiert wurde, sondern auch die mediale Individualkommunikation ist bereits weitestgehend kommerzialisiert durch sog. Kommunikationskonzerne. Verbunden mit der Öffnung der privaten Kommunikation für den öffentlichen Bereich ist also zugleich die Privatisierung im Sinne der Kommerzialisierung. Privater Profit läßt sich sowohl auf der Ebene der öffentlichen wie der individuellen Kommunikation erzielen. Mehr noch, medial beeinflußt und reguliert werden nicht mehr nur das Bewußtsein der Menschen, sondern sämtliche Lebensbereiche. Wenn postuliert wird, daß die Industriegesellschaften sich in eine globale Informationsgesellschaft verwandeln, so ist damit zum einen gemeint, daß die von Menschen gesteuerte Produktion durch eine mediale, nämlich computerisierte abgelöst wird. Zum zweiten umschreibt der Begriff das Faktum, daß Informationen, also Kommunikationsinhalte jeder Art, die Grundlage von Handel und Wandel dieser Gesellschaft bilden. Zum dritten beinhaltet er, daß Information, die bislang fast ausschließlich öffentlich zugänglich war - über Massenmedien oder öffentliche Einrichtungen wie Bibliotheken -, zur Ware wird, deren Zugang bzw. Nutzung nur gegen Entgelt möglich ist.

Die Forderung nach der Öffnung der Medien für alle, und damit die Legitimationsgrundlage der offenen Kanäle, ist heute aktueller und notwendiger denn je.

Die skizzierte Entwicklung, die global alle jetzigen Industriegesellschaften betrifft und individuell jedes Mitglied derselben, erfordert die Ausbildung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, um sich zumindest diesem Prozeß anpassen zu können - und im Idealfall, um ihn mitbestimmen zu können. Auf der Basis der kommunikativen Kompetenz als umfassender Fähigkeit zur gleichberechtigten Partizipation an individueller und gesellschaftlicher Kommunikation ist unter Medienkompetenz die Ausformung kommunikativer Kompetenz zur Beherrschung der Medienentwicklung zu fassen.

Medienkompetenz und was sie bedeutet läßt sich auf drei Handlungsebenen festmachen:

1. Medienkompetenz heißt, die Medienentwicklungen erfassen, kritisch reflektieren und bewerten können.

Die Durchdringung unserer Welt mit Medien ist heute so umfassend, daß es dem einzelnen nicht möglich ist, sich Wissen über die Medien in allen Bereichen anzueignen. Entscheidend ist daher der Erwerb von Grundlagenwissen in allen Disziplinen, die von Medientechnologie tangiert werden, u.a. in der Produktion, Distribution und Anwendung von Medien, in rechtlichen Aspekten, in Mediensystemen usw. verbunden mit Strukturwissen, um verschiedene Informationen aufeinander beziehen und benötigte Informationen wie Detailwissen selbst rasch und aktuell ermitteln zu können.

Einfluß auf die Entwicklung und Anwendung der im Detail höchst komplexen und komplizierten Geräte, Programme, Netze usw. kann nur derjenige nehmen, der die Strukturen erkennt. Zu diesem Strukturwissen muß außerdem der Erwerb von Orientierungswissen treten, um auf der Basis historischer, ethischer, politischer und ästhetischer Einsichten und Kenntnisse das erworbene Wissen ebenso wie die Phänomene der Informations- und Kommunikationstechnologie kritisch-reflexiv bewerten zu können.

Medienkompetenz ist also hier die Fähigkeit, auf der Basis von Grundlagen-, Struktur- und Orientierungswissen sich der Medien bedienen und sich in Netzen bewegen und diese bewerten zu können sowie mediale Technik, Produktion, Produktionsinteressen und inhaltliche Angebote miteinander in Beziehung setzen zu können.

Wenn Sie mich nun fragen: Und wie im offenen Kanal?, dann muß ich sehr wohl gestehen, daß die Vermittlung von komplexem Wissen nicht die primäre Aufgabe der offenen Kanäle sein kann. Dennoch - die OK's haben Ziele und Ansprüche und diese stehen in einem Verhältnis zu unserer Gesellschaft und der gesellschaftlichen Kommunikation. Allein schon die Diskussion der Positionierung der offenen Kanäle im Ensemble der vorhandenen Medien und Mediengeflechte ist ein erster Schritt, sich mit den Medien als einem Gesamten von anderen Faktoren abhängigen und diese beeinflussenden auseinanderzusetzen. Bei der Diskussion um einen zu sendenden Beitrag beispielsweise kann man bequem auf die Bestimmungen der jeweiligen Satzung verweisen, man kann aber auch die Legitimation einer Satzung, ihre Bedeutung, ihre Problematik, den Unterschied zu anderen Formen der Veröffentlichung etc. ansprechen und so Denkanstöße geben. Zumindest verbietet es keine Satzung der offenen Kanäle mit deren Nutzern dieselben zu diskutieren und die Medien ebenso wie unsere Gesellschaft im Gesamt auch zu problematisieren. Ja mehr noch, die offenen Kanäle als wohl einzige gelungene Demokratisierung im Medienbereich haben so etwas wie eine Verpflichtung, sich mit der medialen Zukunft, deren frühes Kind sie sind, auseinanderzusetzen.

2. Medienkompetenz bedeutet selbstbestimmt, kritisch-reflexiv und genußvoll mit Medienangeboten und -inhalten umgehen können.

Angesichts der ständig zunehmenden Fülle an Medienangeboten und -inhalten wird es immer wichtiger, Nutzung und Konsum aufgrund eigener, nicht fremdbestimmter Wünsche und Bedürfnisse gestalten zu können.

Hierzu gehört der Erwerb von Anwendungswissen, also der Fertigkeit im Umgang mit Medien als technischen Geräten. Hierzu gehört aber vor allem die Fähigkeit, Medien zur Er- und Bearbeitung von Gegenstandsbereichen sozialer Realität nutzen zu können. In der Konkretion meint dies die bewußte Auswahl zwischen medialen Angeboten nach ästhetischen und moralischen Aspekten und die kritisch-reflexive Nutzung dieser Angebote, um die eigene Lebenswelt besser bewältigen zu können und sie im Hinblick auf gesellschaftliche, politische und kulturelle Dimensionen zu bereichern.

Mediale Angebote kann nur derjenige kritisch-reflexiv entschlüsseln und verstehen, der die Grundlagen medialer Gestaltungs- und Darstellungsformen von Sprache, Schrift, Symbolen, Animationen, Graphiken, Bildern oder Filmen kennt und der die Medieninhalte auf ihre Bezüge zur Realität hin überprüfen und relativieren kann. Dies gilt nicht nur für den Informationsbereich, auch im Bereich der Unterhaltung werden Orientierungen und Lösungsmuster für das Alltagshandeln angeboten, die es kritisch zu hinterfragen gilt. In Bezug auf die Auswahl und Nutzung von Medien als Freizeitaktivität schließt dies auch die ständige Abwägung der Nutzung anderer Freizeitangebote ein und die Fähigkeit, mediale Angebote genießen zu können.

Medienkompetenz ist hier also die Fähigkeit, mit Medientechnik umgehen zu können und die Fähigkeit, mit Hilfe einer kritisch-reflexiven Medienauswahl und -nutzung die eigene Lebenswelt besser bewältigen und bereichern zu können.

Nun könnte man sagen, diese zweite Dimension der Medienkompetenz beschreibt zentral das Tun der offenen Kanäle. Vielleicht, aber ob aller, dessen bin ich mir nicht so sicher. Die mit dieser Dimension verbundenen Fertigkeiten erlernen sicher alle, die sich um eine Ausbildung bemühen, aber wird ihnen auch die Fähigkeit vermittelt sich mit dem eigenen Medienverhalten ebenso wie mit dem eigenen Medienprodukt auseinanderzusetzen. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um eine moralische Kategorie, sondern um die Weckung der Fähigkeit zu reflektieren, zu kritisieren, zu konstruieren und zu produzieren und vice versa. Dazu gehört beispielsweise auch, daß man sich mit Form und Inhalt der eigenen Angebote, die man in den OK zu stellen gedenkt, kritisch auseinandersetzt. Selbstkritik ist ein wichtiger Schritt zur Reflexion der kommerziellen Angebote und zur Entwicklung eines eigenen und originellen Stils.

3. Medienkompetenz schließlich beschreibt die Fähigkeit, Medien aktiv als Kommunikationsmittel nutzen können.

In einer Gesellschaft, deren Kommunikation in allen Bereichen (Arbeitswelt, Bildung, Freizeit usw.) weitgehend über Medien erfolgt, haben einzelne oder Gruppen nur eine Chance zur Partizipation, wenn sie in der Lage sind, auch aktiv mit Hilfe der verfügbaren Medien zu kommunizieren. Dazu sind Fähigkeiten und Fertigkeiten des Handelns erforderlich. Hierzu gehören wiederum Fertigkeiten im Umgang mit Medien als technische Geräte, vor allem aber die Fähigkeit der Subjekte, Medien zur menschlichen Kommunikation zu nutzen und sie in diesem Nutzungsprozeß dem Ziel zuzuordnen, selbsttätig im Austausch mit anderen soziale Realität zu gestalten. Gestalten heißt dann daß das Vermögen zur Gestaltung und die je eigene Kreativität wie die der produzierenden Gruppe gefördert werden.

Handlungsfähigkeit in diesem Sinne kann allerdings nur unter der Bedingung erworben werden, daß Medien als Einzelgeräte wie als Systeme und Netze allen zur Verfügung stehen. Die Gestaltung medialer Netze und Systeme muß ein Prozeß sein, in den zumindest potentiell jeder Nutzer auch als Produzent und Distributor eingreifen kann. Die derzeitigen und künftig noch weit mehr ausgebauten Mediennetze werden nur dann zur Demokratisierung und zu mehr Partizipation beitragen, wenn sie eine gleichberechtigte Präsentation eigener Informationen an alle Empfänger dieser Netze ermöglichen, wozu zumindest die Chance besteht.

Medienkompetenz meint hier also die Fähigkeit, Medien als Kommunikationsmittel zu nutzen, um eigene Sichtweisen von Welt und Individualität, von relevanten Themen und von persönlichen Problemen zum Ausdruck zu bringen mit Sprache, Bildern, Tönen und Symbolen und in Auseinandersetzung mit anderen soziale Realität zu gestalten.

Es mag ja ein bißchen hybrid klingen, wenn ich von den offenen Kanälen verlange, daß diese soziale Realität gestalten, aber ist das nicht ihr Anspruch? Welche Lebensberechtigung hätten sie denn, wenn sie nicht eine Lücke dieser sozialen Realität schlössen, durch die Öffnung auditiver und audiovisueller Kommunikation für alle. Gerade diese Aufgabe ist heute um so wichtiger geworden. Denn: die technischen Möglichkeiten Medien als Mittler sozialer Realität zu nutzen, sind größer als sie je waren. Aber die Nutzung selbst ist eher geringer geworden. Personen, nicht Gruppen, die sich zur Vertretung eines gesellschaftlichen Anliegens gebildet haben, bedienen sich zunehmend der offenen Kanäle. Das vielgepriesene demokratische Internet wird immer mehr zu einem riesigen Ramschladen des Konsums. Insgesamt nimmt das Interesse an der Hinwendung zu Gesellschaft oder gar Politik eher ab. Rechtsradikale Randgruppen stellen heute fast den bestorganisierten Sektor des Politischen dar. Das Außergewöhnliche, die Veränderung, das Rütteln am Gegebenen wird immer ungewohnter, das Eintauchen in den trägen Strom gewöhnlicher. In der Befähigung der Menschen, sich mit ihrer sozialen Realität auseinanderzusetzen, liegt eine der Hauptaufgaben und -chancen der offenen Kanäle. Und wir, teuer und gut ausgebildete MedienpädagogInnen, müssen diese Chance nutzen.

Referat bei der Fachtagung: "Aktive Medienarbeit mit Kindern und Jugendlichen - Offene Kanäle als Partner" am 11./12.11.1999 in Wittstock an der Dosse, Land Brandenburg

Quelle: http://www.bok.de/referat2.html Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Bundesverbandes Offener Kanäle