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Daniel Poli, Digitale Jugendbildung am Beispiel der Kampagne "watch your web" (2010)
Die Jugendkampagne "watch your web" erprobte erfolgreich das Konzept einer digitalen Jugendbildung und konnte modellhaft zeigen, dass mit neuen Strategien der Medienkompetenzbildung nachhaltige Lerneffekte bei der Zielgruppe der "digital natives" erzielt werden konnten. Neue Lernstrategien sind notwendig, weil wir derzeit einen Wandel im Medienhandeln junger Menschen erleben. Jugendliche verstehen die Angebote des Web 2.0 als integrativen Bestandteil ihres Alltags und messen vor allem der Peer-to-Peer-Kommunikation innerhalb von Online-Communitys eine immer größere Bedeutung zu. Sie dient ihnen als Informationsquelle und Erprobungsfeld zur Identitäts- und Gruppenbildung. Klassische, lineare Bildungskonzepte im Netz greifen hier nicht mehr, da Jugendliche sich Wissen und Kompetenzen mehr und mehr innerhalb ihrer eigenen jugendkulturellen Räume aneignen und außenstehende Angebote kaum Beachtung finden. Digitale Jugendbildung setzt dagegen in Räumen jugendkultureller Austauschprozesse an. Mit einer Pädagogik, die sich "irritierend" in die Jugendkommunikation im Web 2.0 einbringt und gleichzeitig begleitende Angebote einer Jugendarbeit online bereitstellt, kann es gelingen, eine große Zahl junger Menschen im Internet zu motivieren, selbst zu Multiplikator(innen)en der Lerninhalte zu werden.
1 Jugendkommunikation im Web 2.0
Sowohl die jüngste JIM-Studie, die im Juli 2009 vorgelegte Studie des Branchenverbandes BITKOM und auch die aktuellen Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2009 haben eine wichtige Botschaft: Eine deutliche Mehrheit der Kinder und Jugendlichen sind online und je älter sie sind, desto größer ist ihre Beteiligung an den Angeboten des Web 2.0. (1) Jene auch als "Mitmachnetz" (Fisch/Gscheidle 2008) bezeichnete Weiterentwicklung des Internet bietet Möglichkeiten an, die über das bloße Rezipieren medialer Inhalte hinausgehen. Den Nutzer/-innen steht es frei, eigene Inhalte zu gestalten, zu veröffentlichen und mit anderen zu kommunizieren. An der Spitze der favorisierten Aktivitäten junger Menschen stehen dabei die Pflege der sozialen Kontakte und Profilseiten innerhalb von Online-Communitys. Interaktive Erfahrungen, die Jugendliche mit diesen Angeboten machen, prägen entscheidend soziale Kompetenzen, Wissen und Normen innerhalb der Generation der "digital natives" (vgl. Prensky 2001). Merkmal der Interaktion ist hierbei eine Form der Peer-to-Peer-Kommunikation, ein Kommunizieren unter Gleichen, das zwar Informationen aus anderen Quellen aufnimmt, diese aber in eigenen sozialen Räumen interpretiert vermittelt und neu zusammensetzt (vgl. Wagner 2008). Jugendbildungsarbeit im Netz muss daher neue Wege beschreiten und sich den veränderten Kommunikationsformen anpassen, will sie erfolgreich junge Menschen erreichen und nachhaltige Lerneffekte erzielen. Das Vorhaben einer direkten Ansprache im Sinne eines einfachen Sender-Empfänger-Modells muss daher einer Strategie weichen, die sich auf Augenhöhe in die Jugendkommunikation im Web 2.0 einbringt. Das Konzept der digitalen Jugendbildung folgt dieser Kommunikationsstrategie und ist darauf angelegt, verstärkt die Jugendlichen selbst zu Multiplikatoren der Information und damit verbundener Lerninhalte zu machen.
1.1 Web 2.0 als jugendkultureller Raum
Über 5 Millionen Jugendliche sind Benutzerinnen und Benutzer des sozialen Netzwerkes SchülerVZ. Dies entspricht in etwa 2 von 3 Schülerinnen und Schülern in Deutschland. Die Online-Aktivität erstreckt sich jedoch oft nicht nur auf ein einzelnes Netzwerk. Im Prozess des Heranwachsens werden zunehmend auch andere Dienste – wie Youtube, Twitter oder Facebook – genutzt und erprobt. Darüber hinaus finden zahlreiche konkurrierende Angebote für Videos, Fotos und Spiele eine populäre Anwendung, deren Medieninhalte spezialisierte Interessen junger Menschen bedienen. Die dafür aufgewendete Zeit ist beträchtlich: Über die Hälfte der Jugendlichen beschäftigt sich ein bis drei Stunden täglich mit dem Computer (vgl. 13. Kinder- und Jugendbericht, 2009). Eine wesentliche Rolle spielen in dem Zusammenhang Selbstdarstellung- und Inszenierung. Dass es sich hierbei um ein Phänomen der Bildungsbevorteilten handelt, an dem Bildungsbenachteiligten keinen oder nur geringen Anteil nehmen, bestätigt sich nicht. Auch die von vielen vermutete unterschiedliche Qualität der Nutzung – je nach Bildungshintergrund - trifft immer weniger zu (vgl. Wagner/Brüggen/Gebel 2009). Vielmehr vollzieht sich die Abgrenzung der unterschiedlichen sozialen Gruppen über kulturelle Verortungen in Bezug auf Jugend- und Herkunftskulturen. Dabei spielen vor allem popkulturelle Referenzen, wie Musik, Filme, Stars oder Kleidung eine entscheidende Rolle im Prozess der Differenzierung. Wichtigster Bezugspunkt sind dabei die "Freunde" der eigenen Peergroup, die ein neues Zentrum in den sozialen Bezügen mit einer gleichzeitigen Veränderung der Beziehung zu den Eltern ausbilden. Es tritt eine verstärkte Bindung zu Gleichaltrigen auf, die innerhalb der Online-Aktivitäten in sozialen Netzwerken ihren Ausdruck findet. Jugendlichen erleben somit die Online-Communitys als einen Freiraum von elterlicher und pädagogischer Kontrolle und damit als ihren privaten, jugendkulturellen Raum (vgl. Schorb/Keilhauer/Würfel/Kießling 2008). Damit differenziert sich ein eigener Kommunikationsraum mit speziellen jugendspezifischen Codes aus, der sich gegenüber direkten Eingriffen von Außen verschließt. Wer die Codes nicht beherrscht und im Freundesnetzwerk keine Anschlussmöglichkeiten vorweisen kann, wird ignoriert. Wer sich als "Erwachsener" ins SchülerVZ schleicht, verstößt nicht nur gegen die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Jugendcommunity, sondern wird rasch von den Jugendlichen selbst beim Betreiber gemeldet und schließlich zurecht mit seinem Profil gelöscht.
1.2 Informationsaneignung im Web 2.0
Das Internet dient jungen Menschen als Quelle für eine ganze Reihe unterschiedlicher Informationen. Besonderen Stellenwert haben neben Inhalten zu Schule, Beruf und Alltag vor allem Medienthemen und Freizeitinteressen. Heranwachsende gehen dabei nicht allein über Suchmaschinen, sondern nutzen audiovisuelle Quellen wie Youtube, Communitys und Instant Messenger, um Antworten auf ihre Fragen zu erhalten (vgl. Wagner 2008). Informationen werden von jenen weitergegeben, die sich bereits ein vielfältiges Wissen angeeignet haben und auch innerhalb der Peergroup anerkannt sind. Andere rezipieren diese Inhalte, verbreiten sie und orientieren sich daran. Dies geht Hand in Hand mit dem Prozess der Persönlichkeitsentwicklung, der Findung bestimmter eigener Positionen und Entwicklung eines eigenen Geschmacks und Stils. Dies geschieht innerhalb der Interaktion mit dem direkten sozialen Umfeld, wo Meinungen diskutiert, differenziert und Abgrenzungsprozesse eingeleitet werden. Hier zeigt sich die hohe Relevanz der Peer-to-Peer-Kommunikation innerhalb der Online-Communitys, die sich immer stärker als Hauptressource für Wissen und Information, aber auch für die Identitätsarbeit abzeichnet. So besitzen die in der Peergroup etablierten Normen und Erwartungen hohen Einfluss auf Entscheidungen und Verhaltensweisen junger Menschen und bilden spezielle jugendspezifische Standards heraus, die sich von denen der Eltern und Pädagog(inn)en unterscheiden und deutlich abgrenzen.
1.3 Spannungsfelder
Aus der oben skizzierten Form der Jugendkommunikation im Web 2.0 ergeben sich unterschiedliche Spannungsfelder, die die Medienpädagogik vor neue Herausforderungen stellen:
- Die Peer-to-Peer-Kommunikation innerhalb des Web 2.0 führt zu einer Egalisierung von Information und deren Quellen. Dies bedeutet einerseits, dass die von Nutzer(inne)n generierten Inhalte theoretisch auf gleicher Ebene neben journalistisch aufgearbeiteten Informationen stehen und junge Menschen damit potentiell die Möglichkeit haben, sich an gesellschaftlich relevanten Diskursen über das Netz gleichberechtigt zu beteiligen. Auf der anderen Seite verliert sich aber ein kritisches Hinterfragen der Information nach ihrer Überprüfbarkeit und der Quellen im Vermittlungsprozess der Jugendkommunikation. Insofern verlangt das Wegdriften verlässlicher "Wahrheitsanker", die in klassischen Medien durch eine hierarchische Vermittlung gewährleistet waren, auch ein höheres Maß an Medienkompetenz, um differenziert Informationen zu selektieren und kritisch zu hinterfragen.
- Ein weiteres Problemfeld betrifft die Nutzungsdauer digitaler Medien. Viele Kinder und Jugendliche verbringen zunehmend substantielle Teile ihrer freien Zeit kommunizierend oder spielend vor dem PC. Bei einem Teil von ihnen verdrängen diese Beschäftigungen andere Freizeitinteressen und können zur Vernachlässigung bisheriger sozialer Kontakte führen. Beeinträchtigungen des schulischen Erfolgs und gesundheitliche Störungen bilden hier extreme Formen exzessiver Mediennutzung. Daher ist es notwendig, junge Menschen für eine Ausgewogenheit verschiedener Freizeitaktivitäten zu sensibilisieren und konkrete Angebote dafür zu machen.
Dazu ergeben sich unterschiedliche Spannungsverhältnisse aus dem von Jugendlichen subjektiv erlebten Freiraum innerhalb des Web 2.0 und den technischen, rechtlichen und kommerziellen Rahmenbedingungen dieser sozialen Räume. Problembereiche sind hier der Umgang mit Urheberrechten, die unreflektierte Nutzung kommerzieller Angebote, die im Extremfall in Kostenfallen endet, die verklausulierten und nicht jugendgerechten Geschäftsbedingungen der Angebote, ihre rechtlichen Grundlagen und Konsequenzen und der unreflektierte Umgang mit persönlichen Daten:
- Jugendliche wachsen in Online-Welten auf, in denen jedes Bild, jedes Video, jeder Musiktitel und jede Software scheinbar frei verfügbar ist. Da dies faktisch der Fall ist, bildet eine große Zahl der Jugendlichen kein Bewusstsein für einen sensiblen Umgang mit Urheberrechten aus und vernachlässigt das Risiko strafrechtlicher Konsequenzen.
- Die in der Regel kostenfreien Angebote im Web 2.0 verfolgen kommerzielle Interessen. Meist bieten die hohen Zugriffe durch junge Menschen eine Werbeplattform, mit der sich Dienste wie Online-Communitys refinanzieren. Dass hierbei die veröffentlichten Daten der Nutzenden einen Warenwert besitzen, ist Jugendlichen in der Regel nicht deutlich. Auf dieser Grundlage akzeptieren sie die allgemeinen Geschäftsbedingungen und machen sich kaum bewusst, welche Verbraucherrechte sie besitzen und welche Daten, Information und Rechte sie an die Betreiber abtreten.
- Darüber hinaus veröffentlichen Jugendliche oft sehr freizügig eine große Menge persönlicher Daten, Bilder und Videos und unterschätzen dabei, welche Folgen dies zum Beispiel hinsichtlich zukünftiger Karrierechancen haben kann. Dass das Internet nichts vergisst und potentiell einen globalen Zugang erlaubt, wird im subjektiven Empfinden des privaten Raums nicht hinterfragt (vgl. JIM-Studie 2008). Hier bedarf es neuer pädagogischer Strategien, die sich auf den Kommunikationsprozess im Web 2.0 einlassen und Jugendliche in ihrer Netzkompetenz stärken.
2 Digitale Jugendbildung
Gängige Bildungskonzepte gehen in der Regel von einem hierarchisch strukturierten Vermittlungsprozess aus, der anhand kanonisierter Lerninhalte verbindliche Definitionen, feststehende Fakten und zu erlernende Kompetenzen an die Lernenden weitergibt. Es entsteht ein linearer Lernzusammenhang, der am Wahrheitsanspruch und den Interessen des Lehrenden ansetzt. Dieses Verständnis steht jedoch im Widerspruch dazu, wie sich Kinder und Jugendliche informell Wissen im Internet aneignen (vgl. Röll 2008). Junge Menschen nutzen einen Zugang zu Wissen und Information, der wesentlich, über Interaktion innerhalb der Peer-to-Peer-Kommunikation vermittelt, vom Eigeninteresse des Jugendlichen geleitet wird. Daher scheitern Bildungsangebote im Internet, die auf herkömmliche Formen der Jugendbildung setzen und hierarchisch Lerninhalte auf Webseiten platzieren, die kaum anschlussfähig an die Jugendkommunikation im Web 2.0 sind. Die Folge ist, dass junge Menschen diese Angebote schlicht ignorieren und eine Kluft zwischen durchaus wichtigen Inhalten, beispielsweise im Bezug auf die oben beschriebenen Risiken und Spannungsfelder und dem Herausbilden eigener, jugendspezifischer Normen und Wissensinhalte entsteht. Hier setzt das Konzept der digitalen Jugendbildung an und folgt entgegen herkömmlicher Lernkultur einer "Pädagogik der Irritation" (2), die Lerninhalte nicht außerhalb der Jugendkommunikation stellt, sondern
- Angebote dort macht, wo die Jugendlichen sind,
- junge Menschen einbezieht, zum Mitmachen einlädt und schließlich
- Jugendliche selbst zu Trägern und Multiplikatoren von Information macht.
2.1 Jugendkommunikation irritieren
Eine erfolgreiche Kommunikationsstrategie digitaler Jugendbildung muss sich an der Peer-to-Peer-Kommunikation innerhalb des Web 2.0 orientieren und sich genau dort einbringen, wo Jugendliche sind. Dies kann jedoch nicht in direkter Form eines linear gestalteten Lehr-Lernzusammenhangs erfolgen, weil sich die Jugendkommunikation im Web 2.0 über eigene, jugendkulturelle Codes reproduziert, die gruppenspezifisch unterschieden sind und sich dadurch von der Umwelt pädagogischer Einflussnahme abgrenzen. So führt der Versuch eines hierarchisch strukturierten Eingriffs innerhalb der Online-Communitys entweder zur Auflösung der Jugendkommunikation im jeweiligen Sozialraum oder er wird von den Akteuren schlicht ignoriert. Auch ein bloßes Nachahmen der Codes führt schnell zum Ausschluss, da hier keine Referenzen zu den "Freunden" der Peergroup nachgewiesen werden können. Vergleichbar mit systemtheoretischen Theoremen, haben wir es mit einem System zu tun, dass sich aus seinen eigenen Elementen, den Codes, reproduziert und kein direkter Kontakt mit der Umwelt vorhanden ist. Jedoch kann das System bestimmte Irritationen aus seiner Umwelt beobachten und diese als Ereignis innerhalb der eigenen Codierung wahrnehmen. Genau diesem Modell folgt auch die "Pädagogik der Irritation", die über gezielte Anstöße etablierte Normen, bisheriges Wissen und eingespielte Verhaltensweisen in Frage stellt und dadurch zum Nachdenken reizt und Reflexionsprozesse anregt, aber in den vermittelnden Prozess der Kommunikation nicht direkt eingreift. (3)
Strukturell kann dabei an Formen viralen Marketings angeknüpft werden. Diese Art und Weise subtiler Werbung erfolgt durch anregende und meist amüsierende Medienanreize, ohne dass der Sender der Information im Mittelpunkt steht. Es werden Inhalte geboten, die für die Zielgruppe als neu und so interessant erlebt werden, dass sie diese an ihre Freunde weitergeben. Wie ein Virus verbreiten sich Informationen im Sinne einer digitalen Mundpropaganda, ohne dass weiterer Einfluss auf die Wirkung, Effekte und ihre Ausbreitung genommen werden kann. Hierbei stehen vor allem der Spaß und nicht die Werbebotschaft im Vordergrund. Von dieser Form der Kommunikation kann digitale Jugendbildung eine Strategie ableiten, sich mit bestimmten Lerninhalten in den Prozess der Jugendkommunikation einzubringen, um die Zielgruppe selbst zum Multiplikator der Information zu machen. Dass die Lernbotschaft dabei eine eigene Dynamik erhält, die im Vermittlungsprozess der Peer-to-Peer-Kommunikation auch neue Interpretationsmöglichkeiten zulässt, ist Teil eines gemeinsamen Lernprozesses von Pädagog(inn)en und Lernenden. Damit diese Rückkopplung erfolgreich gelingt, brauchen Jugendliche eine personelle Verlässlichkeit in Form pädagogischer Begleitung.
2.2 Begleitung durch Jugendarbeit online
Jugendarbeit online muss verstanden werden als aufsuchende Jugendbildung, die sich dort einbringt, wo die Jugendlichen sind und mit ihnen gemeinsam neue Erfahrungen macht. Dabei orientiert sich digitale Jugendbildung direkt an den Bedürfnissen der Jugendlichen und steht als offenes Angebot innerhalb von Online-Communitys, beispielsweise als Twitterkanal, Youtube-Channel oder SchülerVZ-Profil immer dann zur Verfügung, wenn junge Menschen ein Interesse anmelden und direkte Fragen stellen. In Form irritierender Anreize werden somit Jugendliche aufmerksam auf bestimmte Lerninhalte, kommunizieren darüber, leiten sie mit Hilfe ihrer spezifischen Codierung weiter und erhalten dazu eine komplementäre Begleitung durch Online-Jugendarbeiter/-innen. Diese stehen den Jugendlichen in vielfältiger Art und Weise im Netz zur Verfügung und helfen dabei, bestimmte Informationen zu finden, diese zu differenzieren und selbstgesteuert Wissen anzueignen. Die Rolle des Pädagogen wandelt sich dabei vom Navigator (vgl. Röll 2003) zum Begleiter, der von den Agierenden angerufen werden kann. Er ist damit nicht Teil der Peer-to-Peer-Kommunikation, sondern steht im Austausch mit Einzelnen, wenn bestimmte Informationen und Kompetenzen innerhalb der Community nicht selbst generiert werden können. Somit lernt der Begleiter von den Expert(inn)en der Jugendkommunikation und es können sich gemeinsame Lernprozesse entwickeln. Mit der Jugendkampagne watch your web wurde das Konzept der digitalen Jugendbildung erstmals erprobt und es konnte erfolgreich gezeigt werden, dass hier weitreichende Lernpotentiale verborgen liegen, die zukünftig auszubauen sind.
3 Die Jugendkampagne watch your web
Mit der Jugendkampagne zur Sensibilisierung im Umgang mit persönlichen Daten im Internet "watch your web" konnte eine öffentlichkeitswirksame Jugendkampagne gestartet werden, die junge Menschen über die Gefahren eines leichtfertigen Umgangs mit ihren Daten aufklärt und dafür sensibilisiert, einen bewussten und kritischen Umgang mit persönlichen Daten im Internet zu pflegen. Die Zielgruppe der Jugendlichen wurde direkt innerhalb der größten sozialen Netzwerke angesprochen und die Lernbotschaften konnten hier erfolgreich Verbreitung finden. Hierbei war in erster Linie ein Setting verschiedener Bausteine notwendig, um eine gesellschaftliche Akzeptanz für die Maßnahmen zu generieren und in Form eines breit angelegten Partnernetzwerks zu agieren. Seit April 2008 wurde die Kampagne vorbereitet und konnte innerhalb eines Jahres aufgestellt werden. Das Kommunikationsmodell zur Verbreitung der Kampagnenbotschaften setzte dabei vor allem auf nachhaltige Verbreitungswege im Web 2.0 und suchte hier virale Effekte bei der Zielgruppe zu erzeugen. Die Maßnahmen der Jugendkampagne orientierten sich daran:
- Angebote innerhalb der populären Online-Communitys zu machen,
- irritierende Medieninhalte in Form von Profilseiten, Videos und einem Webtest zu platzieren,
- eine Comicfigur namens "Webman" als Ansprechpartner innerhalb der Communitys zu platzieren, der für Fragen der Jugendlichen zur Verfügung steht,
- Jugendliche nicht zu belehren, sondern sie miteinzubeziehen, ihnen positive Angebote zu machen und damit ihre Kenntnisse auf Augenhöhe zu erweitern,
- die Zielgruppe zu beteiligen und selbst zum gleichberechtigten Träger und Multiplikator der Lerninhalte zu machen.
3.1 Elemente der Kampagne
Die Jugendkampagne watch your web startete mit einer öffentlichkeitswirksamen Pressekonferenz im Juni 2009 in Berlin. Hier wurden die Kernelemente der Kampagne vorgestellt. Folgende Botschaften standen im Mittelpunkt:
- "Das Internet vergisst nichts!"
- "Was einmal im Internet steht, kann sich schnell verbreiten!"
- "Virtuelles ist real!"
- "Im Internet ist man nicht immer ungestört!"
Analog dazu wurden vier Videoclips unter Einbezug von jugendlichen Laienschauspielern produziert. Darunter war ein Spot, bei dem die Jugendlichen ihren eigenen Namen online in die Handlung platzierten und anschließend das so entstandene Video an ihre Freunde weiterleiten konnten. Daneben stellte die Kampagnenseite www.watchyourweb.de in Form von Tutorials und Hilfen vertiefte Informationen zu Sicherheits- und Privatsphäreneinstellungen in unterschiedlichen Communitys bereit. Ein Webtest forderte dazu auf, sich selbst in Bezug auf Sicherheit im Netz einzustufen und die Aktion "In welchen Situationen hättest du Webman gebraucht?" bot die Möglichkeit, dass Jugendliche anonym ihre Erfahrungen anderen über eine Pinnwand mitteilen konnten. Kernidee der Jugendkampagne war die zielgruppengerechte Visualisierung der Gefahren durch zwei Gegenspieler im Comicformat: "Data Devil" und "Webman".
3.2 Das Partnernetzwerk
Seit April 2008 fanden im Vorfeld der Kampagne vier Arbeitstreffen statt, in denen über 30 Partner aus den Bereichen Jugend-, Verbraucher- und Datenschutz, Vertreter der Internetwirtschaft, medienpädagogische Initiativen und Projekte, Jugendarbeiter/-innen und weitere Vertreter/-innen aus dem schulischen und außerschulischen Bildungsbereich sowie dem Feld der Jugendinformation zusammentrafen und gemeinsam die Botschaften und inhaltliche Ausrichtung der Kampagne entwickelten. Allein durch die breite Unterstützung der Partner konnte der Erfolg der Kampagne sichergestellt werden, weil alle relevanten Institutionen in Deutschland eingebunden waren und somit watch your web positiv nach außen vertraten. Zusätzlich wurden Medienpartnerschaften zur Umsetzung der Kampagne gesucht, die in erster Linie die mediale Verbreitung im Internet unterstützten. Neben Kooperationen mit dem Musiksender VIVA und der Telekom war es vor allem wichtig, populäre soziale Netzwerke als Partner zu gewinnen. Hierfür konnte eine Zusammenarbeit mit SchülerVZ, den Lokalisten, Wer-kennt-wen und Facebook erzielt werden.
3.3 Mediale Öffentlichkeitswirksamkeit
Die Jugendkampagne fand nach dem erfolgreichen Start mit über 1000 Presseberichten bundesweit eine breite Resonanz in Printmedien. Weit über 300 relevante Onlinemedien berichteten und es konnten über 20 TV-Beiträge zu watch your web gezählt werden. Darüber hinaus gab es zahlreiche Radiosendungen und verschiedene Blog- und Twitterbeiträge, die die Kampagne kommentierten und verbreiteten. Diese große Öffentlichkeitswirksamkeit zum Start der Kampagne zeigte, dass die Kampagne ein gesellschaftlich relevantes Problemfeld thematisierte und Lösungsansätze anbot, wie sie in dieser Form bisher nicht vorhanden waren. Die große mediale Öffentlichkeit bereitete darüber hinaus den gesellschaftlichen Resonanzboden für die weiteren Maßnahmen der Kampagne, die dann verstärkt auf virale Effekte setzte und sich direkt an junge Menschen wandte.
3.4 Virale Effekte innerhalb von Online-Communitys
Die Jugendkampagne watch your web ist bei der Zielgruppe der 12- bis 16-Jährigen angekommen. In erster Linie wird dies im sozialen Netzwerk SchülerVZ sichtbar. Über 700 000 unterschiedliche Nutzerinnen und Nutzer haben bisher das Profil von "Webman" besucht, knapp 80 000 haben ein Häkchen bei "ich finde Webman gut" gesetzt und damit einen Direktlink in ihrem Profil zum Kampagnenprofil hinzugefügt. Weit über 15 000 Einträge befinden sich aktuell auf der Pinnwand des Profils und über den internen Maildienst erhielt "Webman" etwa 5000 Nachrichten und Fragen, die auch zum größten Teil beantwortet wurden. Insgesamt wurden von den Jugendlichen über 60 Diskussionsgruppen zur Kampagne mit über 600 Mitgliedern gegründet. Der Webtest wurde von knapp 20 000 Jugendlichen ins eigene Profil übernommen und die Kampagnenvideos wurden auf der Videoplattform youtube.com knapp 350 000 Mal angeschaut. Allein diese Zahlen zeigen, dass die Kampagne nach dem Erfolg in den klassischen Medien vor allem durch die viralen Effekte innerhalb der sozialen Netzwerke nachhaltig Verbreitung gefunden hat. Neben den quantitativ gezeigten Effekten nahmen Jugendliche die Botschaften auch kreativ auf und generierten in Eigeninitiative Inhalte, die innerhalb der Peer-to-Peer-Kommunikation Verbreitung fanden. Es entstanden verschiedene Videos von Jugendlichen, die außerhalb pädagogischer Projekte produziert und auf verschiedenen Plattformen gestreut wurden. (4) Dazu adaptierten die Jugendlichen die Comicfiguren in der Form, dass eigene Profile des Gegenspielers von "Webman", dem "Data-Devil", entstanden und sich in die Diskussion einbrachten. Dieses Spiel mit den gegebenen Inhalten und Botschaften zeigte, dass watch your web sich erfolgreich als Irritation in die Jugendkommunikation im Web 2.0 einbringen konnte und hier Jugendliche zu Multiplikator(inn)en der Lerninhalte wurden, die sie in ihrer eigenen Codierung weiter trugen. (5)
3.5 Fragen an Webman
Die zahlreichen Fragen an "Webman" im SchülerVZ deuten auf einen hohen Bedarf an Hilfestellungen zu unterschiedlichen Themenfeldern hin. Hier zeigt sich, dass junge Menschen Angebote von Jugendarbeit online annehmen und Begleitung erwarten. Die Jugendlichen hatten Fragen zur Sicherheit im Web und in der Community, zu technischen und gestalterischen Fragen, die vor allem die Online-Community SchülerVZ selbst betreffen, kritische Fragen zu den Hintergründen und Trägern der Kampagne, sowie allgemeine Fragen und Bedürfnis nach Unterhaltung.
Typische Fragen zum Thema Sicherheit in Communitys waren:
- "Webman, soll ich jetzt alle meine Bilder löschen?"
- "Ich hab jetzt ganz viele Bilder gelöscht, aber das ist doch blöd, wenn man gar nichts mehr zu zeigen hat."
- "Stimmt das, dass es im VZ auch Lehrer gibt?"
- "Ich hab mit meinem Freund Schluss gemacht und hab seit zwei Tagen einen neuen. Jetzt geht hier überall rum, dass ich eine Schlampe wär. Was soll ich machen?"
Das "Edelprofil" von "Webman" bot größere Gestaltungsmöglichkeiten als ein normales Profil. Beispielsweise war hier das Einbetten von Videos und dem Webtest möglich. Typische Fragen waren hier:
- "Wie hast du das mit den Videos gemacht? Kann jetzt jeder Videos haben?"
- "Webman, wie kann ich auch ein Edelprofil werden?"
Die Diskussionen und Entscheidungen um Vorratsdatenspeicherung, Computerspiele und Access Blocking sind an vielen Jugendlichen nicht spurlos vorübergegangen. Die Unterstützung der Kampagne durch das BMFSFJ führte dazu, die Integrität der Kampagne grundsätzlich in Zweifel zu ziehen.
- "Webman wird vom Familienministerium unterstützt, dabei hat die Familienministerin ZENSURSULA von der Leyen selbst noch den Vorschlag mit den Sperrlisten im Internet gemacht. Das stellt eine Form der Zensur da, und wenn das BKA erstmal diese Listen hat, dann wird es mit Sicherheit auch andere Seiten wie z.B. Filesharingseiten sperren. Das ist eine schamlose Unterwanderung des Grundgesetzes!!!"
- "Webman, du sagst, du seist für ein freies Internet. Ich hab aber gehört, dass du für Zensur bist und hier bald alle unsere Nachrichten gelesen werden und wir nicht mehr sagen dürfen, was wir wollen."
Viele Jugendliche griffen die Figur des "Data Devil" auf, kreierten dazu eigene Profile und agierten dann im Rahmen des Rollenspiels als Gegenspieler von "Webman". Andere hatten offenbar Spaß an diesem Wettkampf und gründeten entsprechende Fangruppen. Dies zeigt, dass die Kommunikationselemente der Kampagne tatsächlich von den Jugendlichen aufgegriffen wurden und eine Auseinandersetzung mit dem Themenfeld initiiert werden konnte.
Darüber hinaus stellte "Webman" für die Jugendlichen eine willkommene Abwechslung im SchülerVZ dar. Hier agierte erkennbar eine Kunstfigur, die Fragen aufwirft und irritierend auf die gewohnte Peer-to-Peer-Kommunikation wirkte. Für viele Jugendliche war daher eine wichtige Auseinandersetzung mit der Figur, ob hinter "Webman" ein realer Mensch steht, ob er auch tatsächlich Fragen beantwortet, wo der reale Mensch wohnt, welches Alter, Geschlecht oder Hobbys er hat. So setzten viele Jugendliche große Energie daran, diese Fragen zu lösen. Während Jungen gerne wissen wollten, welchen Fußballverein die Comicfigur toll findet, interessierte Mädchen, ob "Webman" eine Freundin habe. Manche Mädchen sahen dabei die Figur als Gelegenheit, gefahrlos zu "flirten". Die Gruppe "Beziehungsstatus: Verliebt in Webman" war mit etwa 200 Mitgliedern die größte Webman-Fangruppe im SchülerVZ.
4 Fazit
Die Jugendkampagne watch your web konnte modellhaft zeigen, dass es in einer veränderten Medienwelt notwendig ist, neue Wege der Medienkompetenzbildung zu gehen, um junge Menschen im Web 2.0 zu erreichen und hier Prozesse einer Peer-to-Peer-Kommunikation in Bezug zum Spannungsfeld eines verantwortungsvollen Umgangs mit persönlichen Daten zu initiieren. Dabei konnten Elemente digitaler Jugendbildung erprobt und erfolgreich umgesetzt werden. Es wurden unterschiedliche Medieninhalte dort platziert, wo sich Jugendliche aufhalten und in Form einer "Pädagogik der Irritation" Kommunikation unter der Zielgruppe angeregt, so dass Jugendliche selbst auf unterschiedliche Art und Weise zum Träger und Multiplikator der Lerninhalte wurden. Auch konnte mit der Avatar-Figur "Webman" eine Form der Jugendarbeit online erprobt werden, die uns zeigt, dass hier ein hoher Bedarf an Begleitung besteht und zukünftig auszubauen ist. Welche tatsächlichen Lerneffekte bei der Zielgruppe eingetreten sind, muss nach Ende der Kampagne analysiert werden. Erste Beobachtungen zeigen, dass eine Vielzahl der interessierten Jugendlichen während der Kampagnenlaufzeit ihre Profile in der Art geschützt haben, dass sie allein für Freunde sichtbar sind. Nach einer internen Onlinebefragung durch SchülerVZ haben knapp ein Drittel aller registrierten Nutzer/-innen die Kampagne wahrgenommen und 24 % gaben an, ihr Verhalten aufgrund der Botschaften geändert zu haben. Neben diesem direkten Lerneffekt ist vor allem die Auseinandersetzung der vielen Jugendlichen mit dem Thema innerhalb der Communitys ein Erfolg. Die Jugendkampagne watch your web kann dabei aber nur ein erster beispielhafter Schritt sein und muss durch pädagogische Maßnahmen in Schule und Jugendarbeit vor Ort flankiert werden. Dazu gibt es unterschiedliche Angebote der Partner der Kampagne, wie zum Beispiel das "Netzstadtspiel" (6) und unterschiedliche regionale Workshops, die im Rahmen der Kampagne stattfinden und an die Popularität von watch your web anknüpfen. Im Weiteren wird das Konzept der digitalen Jugendbildung im Projekt Jugend online weiterentwickelt und soll in Zukunft dahingehend ausgebaut werden, sich mit weiteren, oben skizzierten Spannungsfeldern auseinanderzusetzen und diese in Form pädagogischer Kommunikationsstrategien und Kampagnen umzusetzen. Dies wird dann gelingen, wenn wir uns auf die Jugendkommunikation der "digital natives" einlassen und junge Menschen dort erreichen, wo sie tagtäglich sind: Im Web 2.0.
Daniel Poli
Anmerkungen
(1) Laut der aktuellen BITKOM-Studie nutzen bereits 71 Prozent der 7- bis 10-Jährigen das Internet zu Hause. Von den 11- bis 14-Jährigen nutzen 93 Prozent einen vorhandenen Internetzugang und im Alter von 15 bis 17 Jahren sind es sogar 99 Prozent der Jugendlichen. Laut der JIM-Studie 2008 ist die Nutzung des Internet fest im Alltag der Jugendlichen verankert. 62 Prozent aller 12- bis 19-Jährigen gehen täglich online, weitere 22 Prozent mehrmals pro Woche. Jungen und Mädchen unterscheiden sich hier kaum, mit zunehmendem Alter der Jugendlichen steigt die Nutzungshäufigkeit des Internet dann deutlich an. Dabei haben drei Viertel der 12- bis 19-jährigen Internet-Nutzer inzwischen Erfahrungen mit Online-Communitys gemacht, 41 Prozent besuchen diese Plattformen täglich, weitere 16 Prozent mehrmals pro Woche. Von den täglichen Nutzern schaut sich die Hälfte sogar mehrmals am Tag in der Community um.
(2) Bereits bei Sokrates findet sich ein Ansatz, der als "Pädagogik der Irritation" bezeichnet wird (vgl. Fischer 2004). Rolf Arnold schreibt dazu aus einer Perspektive der systemischen Pädagogik: "Die Aufgabe von Lehrerinnen und Lehrern liegt darin, ihre Schülerinnen und Schüler in ihrer Entwicklung und ihrem Lernen zu fördern und zu unterstützen. Dies gelingt ihnen jedoch nicht, wenn sie die Interaktion gemäß eigener verborgener Bedürfnisse rekonstellieren. Vielmehr sollten sie in der Lage sein, ohne Angst und mit innerer Kraft auf die Lesarten ihrer Schülerinnen und Schüler zu lauschen und immer wieder neue Versuche zu unternehmen, mit diesen in einen konstruktiven Dialog einzutreten, sie zu beraten und zu begleiten. Dem Fragen kommt dabei eine grundlegende Bedeutung zu. Es war Sokrates, der die Kunst des Fragens kultivierte und in seiner Pädagogik der Irritation praktizierte." (Arnold 2009, S. 19). Darüber hinausgehend findet der Begriff der Irritation vor allem in Ansätzen konstruktivistischer Theoriebildung seine Anwendung. Im von Humberto Maturana formulierten Prinzip der Autopoiesis operiert jedes System auf der Organisationsebene als geschlossenes System ohne jeglichen Input aus der Umwelt. Das System kommt also nie in direkten Kontakt mit der Umwelt und kennt daher nur seine eigenen, internen Zustände. Jede Erkenntnis über die Umwelt ist demnach eine Beobachtung eines bestimmten beobachtenden Systems mit Hilfe spezifischer Unterscheidungen. Dabei können "Irritationen" aus der Umwelt auftreten, die vom System selbst als solche beobachtet und gegebenenfalls als Ereignis interpretiert werden (vgl. Maturana/Varela 1974; vgl. Maturana/Varela 1990).
(3) Digitale Jugendbildung knüpft an das von Franz Josef Röll entwickelte Konzept einer "Pädagogik der Navigation" an, geht aber mit dem Begriff der "Irritation" darüber hinaus (vgl. Röll 2003). Röll schlägt vor, dass die Lehrenden die Rolle des Navigators einnehmen und bestimmte Lernarrangements organisieren und damit die Lernumgebung generieren. Hierin fördern sie die Auseinandersetzung der Lernenden mit den Lerninhalten und befähigen sie damit zum selbstgesteuerten Lernen. Ziel ist es dabei, dass die Lernenden selbst zu Navigatoren werden und sich gemeinsam mit dem Initiierenden Lernstoffe erarbeiten. Beispielhaft wird dies anhand von speziellen Internetangeboten wie Wikis oder Blogs beschrieben. Im Unterschied dazu nimmt die "Pädagogik der Irritation" zwar das Szenario des komplementären Lernens auf, generiert aber keine eigenen Lernräume, sondern bringt sich irritierend in bestehende Online-Communitys ein, um hier Lerneffekte innerhalb der Peer-to-Peer-Kommunikation anzustoßen und diese zu begleiten.
(4) Beispiele für selbst produzierte Videos von Jugendlichen:
http://www.youtube.com/watch?v=KBH_JENO1ww [Zugriff: 09.09.2009]
http://www.youtube.com/watch?v=b-19f1g0sSo [Zugriff: 09.09.2009]
(5) Die Irritation erfolgte am Beispiel der Jugendkampagne watch your web vor allem über das Profil von "Webman", das als besonderes, so genanntes "Edelprofil" über die Gewohnheiten innerhalb der Community hinausging und somit eine Auseinandersetzung mit den Medieninhalten der Videos und des Webtests provozierte. So übertrugen die Videoclips das Internetverhalten und die virtuellen Konsequenzen einer freizügigen Datenpreisgabe auf Alltagssituationen von Jugendlichen und konnten aufgrund des Humors und der Authentizität der Darstellung junge Menschen ansprechen.
(6) www.netzstadtspiel.de [Zugriff: 11.09.09]
Literaturangaben
Arnold, Rolf (2009): Der Eid des Sisyphos - Anregungen einer Systemischen Pädagogik. In: GEW-Zeitung Rheinland-Pfalz 3/2009, S. 18-21.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2009): 13. Kinder- und Jugendbericht 2009. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland.
Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien – BITKOM (2009): Studie zur Mediennutzung. In: www.bitkom.org/de/presse/8477_60220.aspx [Zugriff: 09.09.2009]
van Eimeren, Birgit / Frees, Beate (2009): Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2009. Der Internetnutzer 2009 –multimedial und total vernetzt? In: media perspektiven 7/2009, S. 334- 348.
Fisch, Martin / Gscheidle, Christoph (2008): Mitmachnetz Web 2.0: Rege Beteiligung nur in Communitys. In: Media Perspektiven, H. 7, S. 356-364.
Fischer, Wolfgang (2004): Sokrates pädagogisch. Würzburg.
Maturana, Humberto R. / Varela, Francisco J. (1990): Der Baum der Erkenntnis: Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens. München.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2008): JIM-Studie 2008. Jugend, Information, (Multi-)Media. Stuttgart.
Prensky, Marc (2001): Digital Natives, Digital Immigrants, in: On The Horizon, Vol. 9.
Röll, Franz Josef (2003): Pädagogik der Navigation. Selbstgesteuertes Lernen mit Neuen Medien. München.
Röll, Franz Josef (2008): Lernbausteine für die Web 2.0 Generation. In: Ertelt/Röll (Hrsg.): Web 2.0. Jugend online als pädagogische Herausforderung. München.
Schorb, Bernd / Keilhauer, Jan / Würfel, Maren / Kießling, Matthias (2008): Medienkonvergenz Monitoring Report 2008: Jugendlichen in konvergierenden Medienwelten. Leipzig.
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Wagner, Ulrike (Hrsg.) (2008): Medienhandeln in Hauptschulmilieus – Mediale Interaktion und Produktion als Bildungsressource. München.
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Quelle
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Quelle: http://www.jugendhilfeportal.de/jugendarbeit/artikel/eintrag/digitale-jugendbildung-am-beispiel-der-kampagne-watch-your-web