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Roland Bader - Förderung von Handlungskompetenz in der pädagogischen Arbeit mit PC und Internet
Inhalt
1. Einblicke: die Computerarbeit mit arbeitslosen Jugendlichen am WIJHW
2. PC: Werkzeuge zum Denken und Handeln
3. Methodische Aspekt der Arbeit mit dem Internet
4. Reflexion
5. Abschließende Bemerkung
6. Literatur
Surfen, browsen, chatten... in diesen Begriffen schwingt die Leichtigkeit mit, die dem Internet gern nachgesagt wird. Online-sein ist ein Lebensgefühl, mehr noch, eine Lebenshaltung. Das Bild vom leichten Schwung auf dem Kamm der Welle trügt allerdings. Hinter der Oberfläche laufen hochkomplexe Prozesse ab, und mit der Anzahl an Fehlermeldungen wächst die Einsicht der NutzerInnen, daß es notwendig ist, von diesem Prozessen etwas zu verstehen, wenn man das Internet wirklich benutzen will.
Um Kinder und Jugendlichen den Umgang mit den Internet zu vermitteln, ist zuerst notwendig, daß Pädagoginnen und Pädagogen selbst das Internet nutzen können. Diese Kompetenz ist jedoch keineswegs vorhanden. 50% der Lehrer geben in Befragungen an, nicht einmal eine Textverarbeitung einzusetzen (Neupert & Friedrich, 1997). Eine Umfrage im Rahmen der außerschulischen Jugend- und Bildungsarbeit würde vermutlich ähnliche Ergebnisse bringen.
Computerkurse und -schulungen helfen da auch nicht weiter. Sie fügen dem vielen trägen Wissen, das uns seit der Schulzeit belastet und das wir vergessen, weil wir es nicht nutzen, nur weiteren Ballast dazu. Mit Computern umgehen lernt man nicht, indem man es erklärt bekommt, sondern indem man es tut. Das zeigen viele Erfahrungen mit Jugendlichen, ebenso wie ein Modellprojekt mit PädagogikstudInnen: sie formulieren ein hohes Bedürfnis nach praktischem Ausprobieren der Informationstechnik und sehen das als Grundlage für eine pädagogische Reflexion über neue Technologien an (Schachtner 1999).
In diesem Beitrag soll ein Konzept für die pädagogische Arbeit mit PC und Internet vorgestellt werden, bei dem das handlungsorientierte Lernen im Vordergrund steht. Handlungsorientiertes Lernen kommt Jugendlichen entgegen, die gern tun und ausprobieren. Zentrales Moment dieses Überlegungen ist das Konzept der Aneignung. Mit PC und dem Internet stehen Werkzeuge zur Verfügung, die beim Einsatz in einem geeigneten Umfeld Verstärkerwirkung für kognitive und Handlungsprozesse entfalten können. Indem man pädagogisch die Aneignung von PC und Internet fördert, werden bei Jugendlichen Kräfte geweckt, die weitere Entwicklungsprozesse nach sich ziehen können.
In diesem Konzept systematisiere ich die Erfahrungen aus vielen Projekten mit Multimedia und Internet, die wir am Wissenschaftlichen Institut des Jugendhilfswerks Freiburg (WIJHW) seit 1990 durchgeführt haben. Die Ausführungen gelten jedoch nicht nur für die Zielgruppen dieser Arbeit, vor allem benachteiligte und arbeitslose Jugendliche. Erfahrungen mit Erwachsenen in Weiterbildungsprogrammen und Lehrveranstaltungen weisen ebenfalls darauf hin, daß es beim Lernen mit PC und Internet vor allem um das praktische Tun und die Aneignung geht. Methodische Überlegungen, wie handlungsorientiertes Lernen auf das Internet angewendet werden kann, zeige ich an Beispielen aus der Computerarbeit am WIJHW auf.
1. Einblicke: die Computerarbeit mit arbeitslosen Jugendlichen am WIJHW
Die medienpädagogischen Computer- und Internet-Angebote des WIJHW Freiburg richten sich an sozial benachteiligte und arbeitslose Jugendliche und junge Erwachsene von etwa 14 bis 25 Jahren. Die Angebotsformen sind breit gestreut, vor allem hinsichtlich des Alters der Jugendlichen und der Verbindlichkeit.
Der offene Computertreff ist ein wöchentlich stattfindender Treff, bei dem im Internet gesurft, gechattet, mit PC-Anwendungen gearbeitet, aber auch am PC gespielt werden kann. Das Angebot hat keine Verbindlichkeit - wer kommt, ist willkommen. Das Angebot richtet sich vor allem an jüngere Jugendliche, meist im Alter zwischen 13 und 16. Oft bringen die Jugendlichen Cola und Gebäck mit und verwandeln den Gruppenraum in eine Disco.
Feste Gruppen treffen sich einmal pro Woche. Sie haben eine höhere Verbindlichkeit und arbeiten thematisch, z.B. zum Thema Jobsuche mit dem Internet. Projekte für einen begrenzten Zeitraum führen wir auch mit Schulklassen und Jugendlichen aus sozialen Einrichtungen durch.
Für arbeitslose Jugendliche und junge Erwachsene bieten wir Projekte im Umfang von mehreren Wochen an. Die Teilnehmer sind ältere Jugendliche zwischen 17 und 25. Die folgenden Ausführungen beziehen sich in der Hauptsache auf diese Projekte. Wir arbeiten dabei immer in kleinen Gruppen über mindestens drei, meist fünf Wochen täglich zusammen.
Wir fördern Eigeninitiative und Selbständigkeit, indem wir (meist nach einer kurzen Einführung) die Teilnehmer an komplexen Problemen arbeiten lassen. Diese sind oft unscharf formuliert, so daß die Teilnehmer von Anfang an, auch bei Übungsaufgaben, angehalten werden, das Problem oder die Aufgabe für sich umzudefinieren, um es lösen zu können. Projektmanagement geschieht gemeinsam in der Gruppe. Die gesamte Projektaufgabe wird in kleinere Teilprobleme zerlegt, die die Teilnehmer allein oder zu zweit lösen können. Zusammen erarbeiten wir ein zeitliches und ein Aufgabenraster.
Um der persönlichen Aneignung Raum einzuräumen, arbeiten wir nicht nach dem Schema eines Drehbuchs, das vorab Arbeitsprozesse fixiert, sondern versuchen, durch regelmäßige Zwischenbesprechungen Flexibilität zu fördern, gegenseitige Hilfestellung zu ermöglichen und die Notwendigkeit einer individuellen und gemeinsamen Arbeitsplanung zu betonen.
Im Rahmen einer für alle verbindlichen Aufgabenstellung (z.B. die Produktion einer Homepage) hat jeder Teilnehmer die Möglichkeit, sich technisch, thematisch und gestalterisch zu spezialisieren. Er arbeitet über einen längeren Zeitraum eigenständig an einer selbstgesteckten Aufgabe mit frei gewählten Softwarewerkzeugen. Mehrere Programme für unterschiedliche Anwendungszwecke sind vorhanden, und es besteht die Möglichkeit, neue oder andere Software auszuprobieren oder damit zu arbeiten. Wann immer dies möglich ist, definieren die Teilnehmer die Kriterien für einen Erfolg selbst. Die Teilnehmer haben in der Regel Zeit, eine Aufgabe zu lösen, und müssen diese Zeit selbst einteilen. Das ermöglicht langsameren Teilnehmern Erfolgserlebnisse.
Auch in der Arbeit mit dem Internet verfolgen wir diesen projekt- und produktorientierten Ansatz. Mit der Produktion von Homepages für externe Auftraggeber haben wir gute Erfahrungen gemacht. Externe Auftraggeber haben Interesse und eigene Vorstellungen vom Produkt. Das betont die Nützlichkeit des fertigen Produkts und hebt die Authentizität und Ernsthaftigkeit der Projektarbeit.
Unsere Konzeption des Lernens orientiert sich an Ansätzen des "situierten Lernens". Mandl, Gruber und Renkl (1997) heben als die charakteristischen Merkmale situiertes Lernens hervor: Es wird an komplexen Ausgangsproblemen gelernt. Diese sollen interessant sein und die intrinsische Motivation ansprechen. Das Ausgangsproblem hat Authentizität und stellt damit einen Rahmen und Anwendungskontext für das zu erwerbende Wissen bereit. Multiple Perspektiven, wie sie vor allem in einer Gruppe durch verschiedene Sichtweisen präsent sind, sollen den Transfer des erlernten Wissens gewährleisten. Für situiertes Lernen wichtig sind Artikulation und Reflexion sowie das kooperative Lernen im sozialen Austausch.
Unser Ziel ist die Förderung von Handlungskompetenz. Handlungskompetenz wird von Edelmann (1996, S.309) beschrieben als die "Gesamtheit der einer Person zur Verfügung stehenden Handlungskonzepte und Handlungsschemata". Während sich Handlungskonzepte auf einzelne Handlungen beziehen (z.B. einen Brief mit Word schreiben), können Handlungsschemata als generalisierte Handlungskonzepte angesehen werden (z.B. Texte mit Textverarbeitungssystemen schreiben).
Ballin und Brater (1996) bestimmen Handlungskompetenz als "Befähigung zur Bewältigung offener Handlungssituationen". Diese sind dadurch gekennzeichnet, daß "das Entscheidungsumfeld und die erfolgsbestimmenden Handlungsfaktoren nur vage definiert (sind)." (Ballin und Brater, S. 37). In dieser auf Anwendung orientierten Definition bildet Handlungskompetenz eine Klammer und schließt kognitive Schemata der personalen, Sozial-, Methoden- und Fachkompetenz ein.
Für die Förderung von Handlungskompetenz ist Wissen über den Lerngegenstand PC-Anwendungen und Internet notwendig. Wichtiger ist aber, den Teilnehmern zu ermöglichen, mit dem neu erworbenen Wissen neue kognitive Konzepte auszubilden, d.h. die eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsspielräume zu erweitern. Die Ausbildung neuer Handlungskonzepte geschieht nicht automatisch durch den Erwerb von Fertigkeiten und Wissen, sondern ist eine zusätzliche Aufgabe, die durch das pädagogische Setting ermöglicht und durch bestimmte Aufgabenstellungen gefördert werden muß. Wichtig dafür ist, daß das neu erworbene Können und Wissen in einen Bezug zum eigenen Vorwissen und zu den persönlichen Handlungs- und Lebenszusammenhängen gebracht werden kann.
2. PC: Werkzeuge zum Denken und Handeln
Marshall McLuhan (1968) hat vorgeschlagen, Medien als "Erweiterung der menschlichen Sinne" zu betrachten. Wie handfeste Werkzeuge sind sie nicht (nur) Gegenstand einer Tätigkeit, sondern Mittel, um Tätigkeiten auszuführen. Wie eine Zange als Erweiterung und Differenzierung der Funktionen der Hand fungiert und Handlungen ermöglicht, die ohne sie kaum möglich sind, so sind mit PC und Internet Funktionen des Editierens, Speicherns, Zugriffs auf Information möglich, die anders nicht realisierbar wären. PC, Software und das Internet können als kognitive Verstärker zum Denken und zur Bewältigung kognitiver Aufgabenstellungen betrachtet werden. "Wirksame kognitive Werkzeuge (...) verwickeln die Lernenden in Denkprozesse höherer Ordnung. Das befähigt sie zu kognitiven Prozessen, die normalerweise nicht möglich wären." (Jonassen 1996, S.8)
Es geht bei dieser Sichtweise um das Lernen mit Informationstechnologie, nicht um den Erwerb von Wissen über Computer und das Internet (Salomon, Perkins and Globerson 1991). "Lernen mit Hilfe von Informationstechnologie erweitert die kognitiven Prozesse des Lernenden eben dadurch, daß diese Technologien von ihm angewendet werden." (Jonassen 1996, S.3). Die Wirksamkeit von Softwaretools oder "Mindtools" (Jonassen, 1996) für die Förderung insbesondere des kritischen Denkens wird seit Mitte der 80er Jahre erforscht und diskutiert. Am bekanntesten wurde die Programmiersprache LOGO, von ihrem Erfinder Seymour Papert als ein System beschrieben, mit dem Kinder experimentell erforschen können, wie das Denken funktioniert (Papert 1985).
Ebenso wie bei der Förderung kognitiver Kompetenzen geht bei der Förderung von Handlungskompetenzen um die Ausbildung neuer kognitiver Schemata. Neue Software kennen- und nutzen zu lernen schafft eine Erhöhung des eigenen Selbstbewußtseins, wenn das Medium zur Erweiterung der eigenen Handlungsschemata gebraucht wird. Indem sich jemand auf die Logik und die Struktur eines Programms einläßt, entwickelt er ein inneres Bild von den Möglichkeiten des Programms und zugleich ein Konzept für eine neue Handlung. In einem Moment "kippt" ein Lernprozeß, der bis dahin mühselig und schwierig war und bei dem das Programm etwas Fremdes war, um, und die Benutzung wird leicht und voller Freude. Indem ein inneres Bild der Software, ihren Funktionen und ihren Möglichkeiten entsteht, bildet sich ein neues Handlungskonzept, ein inneres Bild davon, wie die Funktionen genutzt werden können. Auf der emotionalen Ebene gibt das einen "Kick", das Erlebnis einer kurzfristigen Synergie mit der Software, da bestimmte Funktionen das eigene kognitive System erweitern. Dieses Phänomen, das aus der Gestaltpsychologie bekannt ist, ist bei der handlungs- und aneignungsorientierten pädagogischen Arbeit mit PC oft zu beobachten. In Moment des Entstehens einer neuen Gestalt kommt zu einer Freisetzung von Energie und Produktivität. Teilnehmer sind voll Freude, zugleich irritiert, weil sie ihre eigenen vermeintlichen Begrenzungen überschritten haben, oft ohne es zu merken. Die Ausbildung neuer Handlungsschemata geschieht nicht automatisch durch den Umgang mit PC, sondern muß pädagogisch gezielt gefördert werden. Bedingung dafür sind erstens gewisse Freiheitsgrade für die Aneignung. Es muß Zeit und die Möglichkeit für spielerisches Experimentieren gegeben sein. Spielerisches Experimentieren mit Software oder Surfen im WWW allein führt jedoch noch nicht zu einer Aneignung, sondern birgt die Gefahr von Ziellosigkeit und beim Internet Orientierungsverlust. Als zweite Bedingung ist deshalb eine Problem- oder Aufgabenstellung notwendig. Das Problem ist komplex und ohne die Software nicht oder nur sehr viel schlechter zu lösen. Die Lösung des Problems erfordert einen angemessenen, d.h. richtigen Umgang mit der Software.
Da Software wie Maschinen, Technik und Medien ein kulturelles Artefakt ist, trägt sie ihre eigene Entwicklungsgeschichte in ihrer Funktionalität. Die Produktionsgeschichte einer Software ist der Weg hin zur Optimierung bestimmter Funktionen. Um Software verstehen und richtig anwenden zu können, ist es deshalb sinnvoll, die ihr zugrundeliegende Funktionslogik begreifen zu können, eine Logik von Menschen, die diese Software für bestimmte Zwecke gestaltet und angepaßt haben. Ich halte es für wichtig, diesen Hintergrund in der pädagogischen Arbeit zu vermitteln und sinnlich erfahrbar zu machen, da er den Teilnehmern die Bedeutung von Softwarekonzepten deutlich macht und damit die Entstehung kognitiver Konzepte erleichtert.
Die Nutzung neuer Werkzeuge und die Ausbildung neuer Handlungsschemata bleibt nicht auf die Ausführung kleinerer Operationen oder Handlungen beschränkt, sondern hat Folgen auf allen Ebenen menschlichen Tuns. Vygotsky postuliert, daß die Aneignung eines Tools das gesamte Gefüge einer Tätigkeit einschließlich der persönlichen Motive und Ziele verändert: "Indem es in den Verhaltensprozeß integriert wird, verändert das psychologische Werkzeug den gesamten Fluß und die Struktur der mentalen Funktionen." (Vygotsky, 1981, S.137) Oft ziehen kognitive Veränderungen auch soziale Veränderungen nach sich. Denken Sie an die Auswirkung von Textverarbeitung für die Tätigkeiten und Aufgaben, die heute an Sekretärinnen gestellt werden.
3. Methodische Aspekt der Arbeit mit dem Internet
Im folgenden Teil möchte ich die pädagogische Internetarbeit am WIJHW unter der Perspektive der Förderung von Aneignung und Handlungskompetenz betrachten und Methoden zur praktischen Umsetzung diskutieren. Wir streben an, daß Jugendliche das Internet als ein Werkzeug zur Entwicklung ihrer eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeit erleben und begreifen können. Es gibt allerdings ein ganz gravierendes äußeres Hindernis dafür. Durch die hohen Telefonkosten in Deutschland ist das Internet im nicht-universitären Kontext eher als Luxus anzusehen, für die Kosten kommt entweder die Einrichtung auf oder die Jugendlichen. Damit ist es alles andere als selbstverständlich - was ein Werkzeug aber sein sollte.
Jugendliche mit geringerem Bildungshintergrund haben oft Schwierigkeiten, eine Beziehung zwischen ihren Lebenserfahrungen und dem Internet zu erkennen und aufzubauen. Das zeigt sich beispielsweise darin, daß die Anzahl der Jugendlichen mit schlechten Bildungsvoraussetzungen, die wir mit kreativen Offline-Multimedia-Angeboten (Musik, Grafik, Animation, CDROM-Produktion, vergl. Bader 1997a) sehr gut erreicht haben, mit dem Internet-Angebot geringer wurde.
Ein Schritt, um eine Brücke zwischen Vorerfahrung und Internet herzustellen, ist die Nutzung des Internet als Medium zur Gestaltung des sozialen Nahraums. So stellte z.B. eine Hauptschulklasse sich und ihre Sicht der Schule auf einer Homepage dar, die Lehrer zum Nachdenken über Schülerbedürfnisse anregen soll (www.jhw.regio.de/hschule). In einem weiteren Projekt wurde von einer Gruppe ein "Wegweiser zur Jugendberufshilfe" der Stadt Freiburg für das WWW aufbereitet (www.jhw.regio.de/wegjbh/index.htm). Stadtteilarbeit mit dem Internet ist auch in der umgekehrten Richtung realisierbar. Eine Gruppe von Studenten hat eine Homepage für einen Freiburger Stadtteil gestaltet und stellte diese nicht nur im WWW, sondern auch direkt und persönlich im Stadtteil vor (www.uni-freiburg.de/efh/projekte/merzh/index.htm).
Eine zweite Methode für die pädagogische Arbeit mit dem Internet, die am Vorwissen der Teilnehmer anknüpft, ist die Arbeit mit multimedialen Techniken, insbesondere mit Grafik und Musik. Eigene Produkte können im WWW auf einer Homepage publiziert werden, auf die z.B. beim Chatten verwiesen werden kann. An ästhetischen Diskussionen, z.B. bei der Gestaltung einer Homepage, können sich sehr fruchtbare Auseinandersetzungen über die kommunikative Botschaft entzünden (vergl. Bader 1997b).
Kontext und Akteure. Wir kooperieren mit Akteuren, die sich in Freiburg aktiv für Multimedia und Internet einsetzen, laden sie ein und beteiligen uns mit Jugendlichen zusammen an Veranstaltungen. Dabei lernen die Teilnehmer unterschiedliche Sichtweisen, Probleme und Denkstile der Menschen kennen, die mit Multimedia arbeiten. Sie können diese Sichtweisen annehmen und so Kontakt mit einer Expertenkultur aufnehmen. Sie können erleben, daß das Wissen und Können, das sie erwerben, in einem gesellschaftlichen Kontext steht und einen Bezug zu Menschen und Politik hat. In unserem ersten Internet-Projekt luden wir Günther Flemig ein, der damals dabei war, auf eigene Faust einen Server für Freiburg aufzubauen (http://www.freiburg-online.com) und der im Gespräch über seine Erfahrungen berichtete. In der Auswertung des Kurses wurde dieser Kontakt als sehr beeindruckend geschildert.
Es gibt einen Bedarf kleiner Firmen und öffentlicher Institutionen an Webauftritten, und wir fördern es, daß Jugendliche im Auftrag produzieren können. Hinsichtlich der Berufsperspektiven mit dem Internet ist es aber wichtig zu betonen, daß die Auswirkungen von Multimedia und Internet auf den Arbeitsmarkt trotz verschiedener optimistischer Prognosen in der Vergangenheit sehr gering sind. Trotz einer hohen Innovations- und Entwicklungsdynamik (Bernhard und Ruhmann, 1997) sind neue Arbeitsplätze, besonders für benachteiligte Jugendliche, mit dem Internet kaum in Sicht.
Aufbau und Synthese von neuem Wissen. Das WWW enthält sicher die wichtigsten Daten und Informationen. Die pädagogische Herausforderung besteht aber darin, diese Daten zu nutzen, um daraus Wissen aufzubauen. Die Antwort auf triviale Fragen ist mit dem Internet meist leicht zu finden. Stellt man aber komplexe Fragen oder versucht ein nicht-triviales Problem zu lösen, kann die angemessene Nutzung des Internet schwierig werden.
Im kanadischen Schulnetzwerk CSILE (Computer Supported Intentional Learning Environment, http://csile.oise.on.ca/) steht die Konstruktion von Wissen als praktische Tätigkeit in einer Gemeinschaft im Vordergrund. Unterstützt durch eine speziell entwickelte Software, die das Argumentieren, die Visualisierung und die Ablage und das Wiederfinden von Informationen in einer Datenbasis ermöglicht, recherchieren Schüler in langfristig angelegten Projekte selbst formulierte Forschungsfragen und bauen aus den gefundenen Daten neues Wissen auf. Im Projekt steht die Tätigkeit des Knowledge Building im Vordergrund.
In einem Homepageprojekt für das Medienforum Freiburg recherchierten Jugendliche im WIJHW, wer in der Region Oberrhein im WWW vertreten ist: Firmen, öffentliche Einrichtungen, Vereine und Privatpersonen. Das Ergebnis wurde in der Gruppe nach Kategorien und Regionen sortiert und als Standortanalyse im WWW publiziert (www.jhw.regio.de/standort).
Eine funktionale Sicht der Kommunikation. Viele Beobachtungen aus der Praxis der Jugendarbeit belegen, daß Jugendliche das Internet als Medium zum Handeln nutzen. Im Chat Grenzen der Kommunikation austesten, fremde Rechner manipulieren oder Software und Musik downloaden, sind Weisen des Handelns. Angebote des Internet werden "benutzt", ebenso wie fremde Personen online. Das Postulat der Diskusssionsnetze, man solle daran denken, daß am anderen Ende der Leitung immer ein Mensch sitzt, geht an dieser Nutzungslogik vorbei. Die Kommunikation im Internet, besonders der Chat, begünstigt Weisen des "Benutzens" und kann aus diesem Grund auch als ein "Werkzeug zum Handeln" betrachtet werden.
Unter pädagogischen Gesichtspunkten ist die Frage interessant, wie Kommunikation im Internet unter dieser funktionalen Werkzeugperspektive sinnvoll eingesetzt werden kann. In Email-Projekten zum Sprachenlernen wird dies in Schulen praktiziert. Partner nutzen sich zu einem gemeinsam vereinbarten Zweck. Kommunikative Dienste des Internet können eingesetzt werden, um Informationen oder Hilfe zu erhalten oder um eigene Anliegen zu veröffentlichen, auch um Anteile der eigenen Persönlichkeit auszuleben, die im Real Life sonst wenig Raum haben. Die Rolle, die Online-Kommunikation für die Identitätsbildung annehmen kann, wie sie Sherry Turkle (1998) beschrieben hat, weist m.E. ebenso darauf hin, daß es im wesentlichen um eine "Nutzung" der anderen Personen online geht, nicht um ein Äquivalent oder einen Ersatz für Face-to-Face-Kommunikation.
Der kommunikative Charakter des Internet ist kein grundsätzlicher Einwand gegen den Gebrauch des Internet als Werkzeug zur Förderung von Handlungskompetenz. Es wäre demnach zu fragen, wie die Kommunikationsdienste pädagogisch im Sinn der Ausbildung neuer Handlungskonzepte genutzt und eingesetzt werden können.
4. Reflexion
Der Reflexion kommt aus verschiedenen Gründen eine große Bedeutung bei. Erstens können in der Reflexion persönliche Konflikte besprochen und aufgearbeitet werden. Zweitens dient Reflexion im projektorientierten Arbeiten der Planung des eigenen und gemeinsamen Vorgehens (Metainteraktion, Zwischengespräch, Fixpunkte nach Frey 1991). Und drittens kommt der Reflexion eine große Bedeutung für Aneignungsprozesse und handlungsorientiertes Lernen zu.
Die Gruppe als soziales Lernfeld. Das enge Zusammenarbeiten und Aufeinander-angewiesen-sein, gelegentlich auch die Auseinandersetzung um die Nutzung begrenzter Ressourcen begünstigt soziale Konflikte. Diese werden in festgelegten oder spontan vereinbarten Reflexionen und Gruppengesprächen angesprochen und bearbeitet.
Die Rolle der Reflexion im projektorientierten Arbeiten. Beim projektorientierten Arbeiten übernimmt jeder Teilnehmer Verantwortung für seinen eigenen Lern- und Arbeitsprozeß und dessen Funktion im gesamten Projekt. In der Gruppe zu planen fördert die Bewußtheit über das eigene Tun und Wissen und ist damit zur Ausbildung metakognitiver Kompetenzen geeignet. Bei Metakognition handelt es sich um das Wissen über das eigene Wissen und Lernen und um die Steuerung des eigenen Lernprozesses. Indem verschiedene Sichtweisen artikuliert werden, wird es möglich, multiperspektivische Sichten auf Probleme und Themen ("Kognitive Flexibilität", vergl. Feltovich, Spiro et al. 1996) auszubilden. Indem eigene Denk- und Handlungsstrategien artikuliert werden, verlieren sie ihre Selbstverständlichkeit. Es wächst das Bewußtsein, daß es eine Vielzahl von Vorgehensweisen gibt.
Reflexion und Handeln. Das Bedürfnis nach Reflexion wächst, wenn Teilnehmer in einem Projekt neue Handlungskonzepte ausbilden. Insofern steht Reflexion nicht im Gegensatz zum Handeln, sondern gelungenes Handeln ruft das Bedürfnis nach Selbstvergewisserung und Mitteilung hervor. Freude über neue Kompetenzen, Irritationen und Verunsicherung wollen mit anderen geteilt werden. Positive Erfahrungen und die Freisetzung von Energie bringt auch Kontrasterfahrungen ins Bewußtsein: die eigene Lebenssituation wird bewußt, gerade wenn sie wenig Möglichkeiten bietet, das Gelernte anzuwenden und zu erweitern.
Reflexion sucht nach Begriffen für gemachte Erfahrungen und hilft, sie in eine Beziehung zu Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata zu bringen. Begriffe schaffen eine Prägnanz der gemachten Erfahrungen und beschleunigen Veränderungs- und Entwicklungsprozesse. Ein konzeptuelles Raster für Erfahrungen hilft neue Handlungsschemata aufzubauen. Erweiterte Handlungskompetenzen erleichtern zukünftige Erfahrungen, da die Risiken des Neuen besser abschätzbar werden. Es wird sichtbar, wo Veränderungen im Umfeld möglich und notwendig sind, um Raum für die weitere Entfaltung der neuen Kompetenzen zu schaffen.
5. Abschließende Bemerkung
Für diese Art Bildungsarbeit ist es notwendig, daß die Teilnehmer sich auf etwas Neues einlassen. Neues verunsichert und stellt Altbekanntes oder Gewohntes in Frage. Nur wer bereit ist, sich PC, Software und das Internet zu "erschließen" (Klafki 1959) und sich an deren Eigengesetzmäßigkeiten abzuarbeiten, kann sie sich aneignen, um sie in alltägliche Handlungen und in seinen Lebenskontext zu integrieren. PC und das Internet sind hervorragende Lernfelder dafür, denn ihre Beliebtheit ist ungebrochen, und der Kompetenz im Umgang damit wird allgemein und auch von Jugendlichen ein sehr hoher Stellenwert zugesprochen. Das schafft hervorragende Ausgangsbedingungen, für die Pädagogen wenig tun müssen: durch die eigene Kompetenz im Umgang mit PC sind sie schon Modelle der Aneignung für die Teilnehmer und genießen Kredit. Der Kredit sollte genutzt werden. Teilnehmer einzuladen, etwas Neues auszuprobieren und dafür ihr Vertrauen zu gewinnen, ist eine wichtige Basis für Pädagogik. Vertrauen könnte sich auch im Internet als die Basis für den Erfolg einer Website erweisen. Jedenfalls postuliert das Cliff Figallo (1998), der über viele Jahre Webcommunities, unter anderem in THE WELL aufgebaut und betreut hat.
6. Literatur
Bader, Roland (1997a) Lernen in einem multimedialen Produktionsprozeß. In: Palme, Hans-Jürgen; Hedrich, Andreas und Anfang, Günther (Hrsg.): Hauptsache: Interaktiv. Ein Fall für die Medienpädagogik. München, KoPäd Verlag, S. 129-140
Bader, Roland (1997b) Jobsuche mit dem Internet. In: Zacharias, Wolfgang (Hrsg.): Interaktiv - im Labyrinth der Möglichkeiten. Kulturpädagogische Schriftenreihe, BKJ Remscheid, S. 287-294
Ballin, Dieter & Brater, Michael (1996) Handlungsorientiert lernen mit Multimedia : Lernarrangements planen, entwickeln u. einsetzen. Nürnberg, BW, Bildung u. Wissen, Verl. u. Software
Bernhard, Ute & Ruhmann, Ingo (1997) Arbeit, Märkte, Prognosen. Zur Ökonomie der Informationsgesellschaft. In: Krämer, Jochen & Richter, Jürgen: Schöne neue Arbeit. Die Zukunft der Arbeit vor dem Hintergrund neuer Informationstechnologien. Talheim, Talheimer, S. 13-32
Edelmann, Walter (1996) Lernpschologie. Weinheim, Psychologie Verlags Union
Feltovich, Paul J; Spiro, Rand J; Coulson, Richard L; Feltovich, Joan (1996) Collaboration within and among minds: Mastering complexity, individually and in groups. In: Koschmann, Timothy: CSCL - Theory and Practice of an Emerging Paradigm. Lawrence Erlbaum Associates, Inc, Mahwah, NJ, US; xii, 353 pp. ., p.25-44
Figallo, Cliff (1998) Hosting Web Communities. Building Relationships, Increasing Customer Loyalty, and Maintaining a Competetive Edge. New York: Wiley
Frey, Karl (1991) Die Projektmethode, 4. unveränd. Aufl. Weinheim; Basel: Beltz
Jonassen, David H. (1996) Computers in the Classroom: Mindtools for Critical Thinking. Columbus, Ohio, Merrill
Klafki, Wolfgang (1959) Kategoriale Bildung. Zur bildungstheoretischen Deutung der modernen Didaktik. In: Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim und Basel, Beltz, 1963, S. 25-45
Mandl, Heinz, Gruber, Hans & Renkl, Alexander (1995) Situiertes Lernen in multimedialen Lernumgebungen. In: Issing, Ludwig J. & Klimsa, Paul: Information und Lernen mit Multimedia, Weinheim, S.67-178
McLuhan, Marshall (1968) Die magischen Kanäle - Understanding Media. Düsseldorf, Wien: Econ
Neupert, Heiko & Friedrich, Steffen (1997) Lernen mit Netzen - Lernen über Netze. Log in 17 (6) S.18-23
Papert, Seymour (1985) Kinder, Computer und neues Lernen. Basel, Birkhäuser
Salomon, G.; Perkins, D.N. & Globerson, T (1991) Partners in cognition: Extending human intelligence with intellgent technology; Educational Researcher, 20, 2-9
Schachtner, Christina (1999) Evaluation des Modellprojekts Neue Technologien/Medien in psychosozialen Handlungsfeldern am Institut für Erziehungswissenschaft der Philipps-Universität Marburg gefördert vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur
Turkle, Sherry (1998) Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet; Reinbek: Rowohlt
Vygotsky, L.S. (1981) The Instrumental Method in Psychology. In: Wertsch, J.V. (Ed.) The Concept of Activity in Soviet Psychology, Armonk, NY: Sharpe, S. 134-145