Storytelling: Vom digitalen zum analogen Geschichtenerzählen
Pädagogische Rahmung
Medien erzählen Geschichten. Was für Romane und Filme selbstverständlich erscheint, ist für digitale Spiele vielen noch relativ unbekannt. Es werden auch nicht immer nur Prinzessinnen oder gleich die ganze Welt gerettet– nein, es gibt wunderbare Beispiele für großartige Computerspielgeschichten! In Brothers: A Tale of Two Sons sind zwei Brüder auf der Suche nach einem lebensrettenden Medikament für ihren Vater, den sie nach der kurz zuvor verstorbenen Mutter nicht auch noch verlieren wollen. In Life is strange geht die Teenagerin Max mysteriösen Ereignissen an ihrem College auf den Grund – und überwindet gleichzeitig viele Hürden auf dem Weg zum Erwachsenwerden. In This War of Mine trifft sich eine kleine Gruppe von Zivilistinnen und Zivilisten während eines Bürgerkriegs in einem zerbombten Haus und muss fortan alle Widrigkeiten eines bewaffneten Konflikts überstehen und insbesondere auf die Frage, was man um des reinen Überlebens willen alles tun darf, eine Antwort finden.
Es zeigt sich, dass das Erzählen einer Geschichte ein zentrales Element in zahlreichen digitalen Spielen darstellt. Und da laut JIM-Studie 2016 etwa zwei Drittel aller Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren täglich oder mehrmals wöchentlich digitale Spiele spielen, haben sicherlich auch viele von ihnen bereits Figuren durch ein Spiel begleitet, mit ihnen Aufgaben gelöst und Abenteuer überstanden. Dies ist der Ausgangspunkt für unsere Storytelling-Methode. Die Teilnehmenden tragen dabei ihre selbst in digitalen Spielwelten erlebten Geschichten vor und geben einen Einblick in den Handlungsverlauf, ähnlich wie es "früher“ mit Büchern unter der Leitfrage "Was hast Du in den Ferien gelesen?“ getan wurde, nur dass es eben jetzt heißt: "Was hast Du in den Ferien gespielt?“
Die Methode umfasst drei Phasen. Zunächst wird mit einigen Fragen über Geschichten und die Tätigkeit des Erzählens ein Einstieg in das Thema ermöglicht. Danach wird ein theoretischer Input zum Thema Storytelling gegeben. Abschließend erfolgt eine praktische Übung, bei der die Teilnehmenden das Schema des klassischen griechischen Dramas auf ein digitales Spiel ihrer Wahl anwenden und anhand dessen seine Geschichte erzählen.
1. Mögliche Einstiegsfragen an die Teilnehmenden
- Was bedeutet "Erzählen" für Euch?
- Welche Erzählsituationen kennt Ihr aus Eurer Kindheit?
- Welche sind Eure Lieblingsgeschichten?
- Was macht eine gute Geschichte aus?
- Welche Medien erzählen Geschichten?
Falls alle Befragten hier nur mündlich erzählte Geschichten, Bücher, Filme etc. und nicht digitale Spiele nenne, kann auch zum Digitalen Storytelling übergeleitet werden. Beispielsweise so: "Geschichten werden nicht nur in klassischen Medien erzählt, sondern auch oder gerade auch in digitalen Spielen.“
2. Theoretischer Input (als Möglichkeit für die pädagogische Fachkraft) sowie Hintergrundinformationen
Storytelling (deutsch: "Geschichtenerzählen“) ist eine Erzählmethode, mit der explizites, aber vor allem implizites Wissen in Form einer Metapher weitergegeben und durch Zuhören aufgenommen wird. Die Zuhörer werden in die erzählte Geschichte eingebunden, damit sie den Gehalt der Geschichte leichter verstehen und eigenständig mitdenken. Das soll bewirken, dass das zu vermittelnde Wissen besser verstanden und angenommen wird. Heute wird Storytelling neben der Unterhaltung unter anderem auch in der Bildung, im Wissensmanagement und als Methode zur Problemlösung eingesetzt.
Eine lebendig erzählte Geschichte gewinnt die Aufmerksamkeit und Konzentration anderer Menschen leichter als eine nüchterne Ansprache. Die Zuhörer versuchen, den Handlungsablauf, den Sinn (die Metapher) zu erfassen und die darin enthaltene Weisheit zu verstehen. Auch wenn die Zuhörer nicht jede Einzelheit konkret verstehen, werden sie dennoch den Kern der Geschichte begreifen. Beim Zuhören gelangen Menschen oft in einen entspannten Trancezustand, in dem sie Inhalte noch tiefer aufnehmen können. Meist wirkt die Geschichte im Unbewussten weiter und Erkenntnisse reifen so noch lange nach.
Hinter dem Begriff des Storytelling verbirgt sich nicht nur eine Geschichte mit einem oder mehreren linearen Erzählsträngen, sondern häufig eine ganze Welt, die gemeinsam von dem/den/der Erzählenden erschaffen wird. Es ist vor allem dieser Schaffensprozess, der das Storytelling kennzeichnet.
Begriffe:
analoges Geschichtenerzählen (Beispiele)
- am Lagerfeuer
- Gute-Nacht-Geschichte
- Erlebnisse, Problemgeschichten unter Freunden/Freundinnen
- Märchen, Sagen
- Bibelgeschichten
- vieles, was vor dem Buchdruck mündlich überliefert wurde
digitales Storytelling ist der moderne Ausdruck für die "alte“ Technik des Erzählens
- digitale Geschichten nehmen ihre Kraft aus dem Verweben von Bildern, Musik, erzählenden Stimmen etc., und geben ihnen damit eine tiefere Ebene und Lebendigkeit der Charaktere, Situationen, Erfahrungen und Einsichten
- ermöglicht durch die Nutzung digitaler Mittel das Erzählen der eigenen echten Geschichte
interaktives Storytelling ist die Verknüpfung des Erzählens von Geschichten und dem Angebot von Informationen und Erlebnissen, welche durch Nutzeraktionen angestoßen und erschlossen werden, durch:
- Autor*in: Erstellung der Geschichte
- Erzähler*in: Wiedergabe (Storytelling Environment)
- Empfänger*in: Geschichte erfahren und miterleben
interaktives Digitales Storytelling
Kombination von narrativen Erzählstrukturen, Nutzung von digitalen Medien und Interaktionsmöglichkeiten des/r Rezipierenden
- Beispiele finden sich in neueren digitalen Spielen, die in erster Linie auf den Entscheidungen der Spielenden beruhen, wie z.B. Beyond: Two Souls, Life is strange oder Minecraft: Story Mode
- der Spielverlauf besteht hauptsächlich aus eigenen Entscheidungen zwischen Dialog- und Handlungsoptionen
- jede Entscheidung hat eine andere Konsequenz
- trotz aller Digitalität: es gibt auch Bücher in denen man selber Entscheidungen treffen kann, sogenannte Spielbücher
3. Praktische Übung
Verbindung von analogem Geschichtenerzählen und digitalem Storytelling: selbst Gespieltes noch einmal neu erzählen.
Dazu kann das Arbeitsblatt "Klassische griechische Tragödie in digitalen Spielen“ genutzt werden:
Suche Dir ein digitales Spiel Deiner Wahl aus und erzähle seine Geschichte in den fünf Schritten des klassischen griechischen Dramas (nach Gustav Freytag)!
1. Exposition
- Einführung in Vorgeschichte und Handlung
- Einführung in zeitliche und örtliche Verhältnisse
- Vorstellung der wesentlichen Figuren
- Keim des Konflikts und der Spannung
2. Steigende Handlung mit erregendem Moment
- Verknüpfung und Verschlingung der Handlungsfäden
- verschiedene Interessen stoßen aufeinander
- Intrigen werden gesponnen
- die Entwicklung des Geschehens beschleunigt sich
- die Spannung steigt
3. Höhepunkt mit Peripetie (Wendepunkt)
- Held*in in der entscheidenden Auseinandersetzung
- dramatische Wende zu Sieg oder Niederlage, zu Absturz oder Erhöhung (Peripetie)
4. Fallende Handlung mit retardierendem Moment
- Handlung fällt auf das Ende zu
- Spannung noch einmal gesteigert
- Verzögerung der Entwicklung im retardierenden Moment
5. Katastrophe (Tragödie) bzw. Sieg (Komödie)
- Lösung des Konflikts: schlechtes Ende oder gutes Ende
Details
- Dauer: 60-90 Minuten (je nach Gruppengröße)
- Sozialform: Einzelarbeit, Gruppenarbeit, Plenum
- Methoden-Ziele: Wissensvermittlung, Sensibilisierung, Reflexion
- Zielgruppe: Jugendliche, Erwachsene, Lehrer*innen, Pädagog*innen, Studierende
- Praxisfelder: Schule, OKJA, Freizeit
- Benötigte Materialien: Stifte und Papier
Urheber: Institut Spielraum - Medienpädagogik in der digitalen Spielekultur
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