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Norbert Neuß, Gutachten zur Begründung eines eigenständigen Themenfeldes "Medienbildung im Vorschulbereich" - Anregungen zum Entwurf (Juni 2003) des Berliner Bildungsprogramms (5.11.2003)
Im Teil A dieses Gutachtens werde ich kurz sieben Argumente vorstellen, die meines Erachtens dafür sprechen, Medienbildung als eigenständiges Lern- und Themenfeld in Bildungskonzeptionen des Kindergartens zu verankern. Die Argumente stützen auf aktuelle Forschungsergebnisse aus der Medienpädagogik, der Kindheitsforschung und der Bildungs- und Lernforschung sowie meiner mehrjährigen persönlichen Erfahrung im Arbeitsbereich "frühkindliche Medienbildung". Im Teil B werde ich sechs Bereiche des Lern- und Themenfeldes Medienbildung kurz vorstellen. Der Teil C nennt zwei Empfehlungen zur Integration des Themenfeldes Medienbildung und im Teil D findet sich die Literatur, auf die ich mich beziehe.
Teil A: Medienbildung als eigenständiges Themenfeld : Sieben Argumente
Folgende Argumente sprechen für ein eigenständiges Themen- und Lernfeld:1. Die frühe Kindheit ist Medienkindheit
Kinder wachsen heutzutage mit den verschiedensten Medien auf und nutzen diese selbstverständlich. Fernsehen, Bilderbücher und Hörkassetten werden von Vorschulkindern am häufigsten und intensivsten genutzt. Aber auch der Computer wird mehr und mehr zu einem interessanten Medium für sie. Für Kinder sind die verschiedenen Medien eine positive Erweiterung ihrer sonstigen Erfahrungsmöglichkeiten und Teil ihrer Kinderkultur. Allerdings führt dies neben vielen positiven Effekten auch zu Problemen. Der Einfluss der Medien auf die kindliche Sozialisation (Orientierungsfunktion in Bezug auf Weltbilder wie z.B. Geschlechtsrollen, Konfliktlösungen oder Gewaltkonfrontation usw.) und ihre Entwicklung (Wahrnehmung, Körperbewusstsein, Bewegung, Konzentration usw.) wird zunehmend von ErzieherInnen thematisiert. Hinzu kommt, dass eine familiäre Medienerziehung, die sich um den Umfang und die Qualität der Mediennutzung kümmert, zunehmend seltener stattfindet. Aber auch die pädagogischen Institutionen, wie z.B. der Kindergarten meiden bisher eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Medienwelt und ihren Einflüssen (vgl. Six u.a. 1998). Allzu oft besteht hier die Meinung, dass der Kindergarten als "medienfreier Schonraum" einzurichten sei. Eine Vorschulpädagogik, die sich stark an der kindlichen Lebenswelt orientiert und dementsprechend situationsorientiert (vgl. Zimmer 1995) arbeitet, kann aber nicht nur die für sie "akzeptablen" Bereiche der Lebenswelt in den Blick ihrer Bemühungen nehmen. Vielmehr müssen alle Einflussfaktoren der sich ständig verändernden Lebenswelt von Kindern beachtet werden. Geschieht dies nicht, so wie es sich im Bereich der vorschulischen Medienbildung abzeichnet, werden die Kinder bei dieser Entwicklungsaufgabe allein gelassen. Unerwünschte Folgen für die kindliche Entwicklung sind deshalb nicht auszuschließen.
2. Kinder benötigen Orientierungen in der Medien- und Konsumwelt
Muss man aber "Medien" wirklich schon im Vorschulbereich als eigenständiges Themenfeld pädagogisch aufgreifen? Ich möchte dazu einen Vergleich zwischen dem Autofahren und der Mediennutzung anstellen. Beide Bereiche (Auto und Medien) bieten sowohl große Vorzüge und Möglichkeiten als auch Gefahren und Probleme. In beiden Bereichen gibt es auch eine Form der erzieherischen Aufklärung (Verkehrserziehung und Medienerziehung). Dass Kinder sich im Straßenverkehr möglichst früh auskennen sollten, wird wohl auch der stärkste Autogegner zubilligen. Niemand käme deshalb auf die Idee, Kindern die Verkehrsregeln nicht zu erklären oder ihnen Tipps zur eigenen Sicherheit und Selbstständigkeit zu verwehren. Ebenso sieht es mit der Medien- und Konsumwelt aus. Kinder leben in dieser Welt, wachsen in ihr auf und müssen lernen, sich darin zurecht zu finden. Dazu können gerade pädagogische Institutionen wie der Kindergarten einiges an Hilfestellung beitragen. Medien sind integraler Bestandteil der Lebenswelt von Kindern und sie sollten auch integraler Bestandteil pädagogischer Projekte und pädagogischer Ziele sein. Nun sind es aber nicht nur defizitäre Argumente, die für ein eigenständiges Themenfeld "Medienbildung" sprechen. Im folgenden möchte ich auf einige konstruktive Argumente der "Medienbildung" eingehen.
3. Medienangebote reichen in die Identitätsbildung von Kindern hinein
Wie unterschiedliche wissenschaftliche Studien gezeigt haben, nutzen Kinder die unterschiedlichen Medieninhalte zur Bearbeitung und Bewältigung von Identitätsthemen und Entwicklungsaufgaben (vgl. Bachmair 1984, Charlton/Neumann 1986, Neuß 1999). Dazu eignen sich insbesondere Kinder die kulturelle Symbolik der Medien an und verarbeiten sie thematisch, um sich selber oder der sozialen Umwelt etwas mitzuteilen. Diese Selbstdarstellung wird von Kindern mit Hilfe medialer Inhalte sehr vielseitig, z.B. in freien Spielszenen, beim Bauen mit Materialien, beim Erzählen von Ereignissen oder beim Zeichnen, nach außen getragen. Um diese Mitteilungen zu verstehen ist es notwendig, sich auf die Sinnperspektive der Kinder einzulassen und die symbolischen Darstellungen der Kinder zu entschlüsseln. Nicht selten verarbeiten Kinder im Spiel, in Zeichnungen und beim Gestalten auch Erlebnisse, die sie besonders emotional beschäftigen. Medienerlebnisse im Kindergarten aufzugreifen und den Kindern hierfür Verarbeitungsmöglichkeiten anzubieten erscheint in Anbetracht der Vielzahl von medialen Eindrücken als eine wichtige pädagogische Aufgabe, die kaum integrativ zu verorten ist (Vgl. Neuß/Pohl/u.a. 1997). Zur Umsetzung dieser Aufgabe sind jedoch bei ErzieherInnen Kenntnisse über psychomotorische Verarbeitungsstrategien, Entwicklungsaufgaben von Vorschulkindern (vgl. Havighurst 1982) und Kenntnisse über mediale Angebote (z.b. beliebte Fernsehsendungen oder -figuren) nötig. Wenn Kinder im Sinne eines ganzheitlichen Förderansatz gebildet werden sollen, dann können die identitätsbildenden Medienerfahrungen nicht außen vor bleiben.
4. Gleiche Bildungschancen mit hochwertigen Medienangeboten für alle Kinder
Viele Erwachsene vertreten die Ansicht, dass der Computer die sinnlichen Erfahrungsmöglichkeiten von Kindern einschränkt. Dabei übersehen sie jedoch, dass der PC vor allem für Kinder, die noch nicht lesen können, eine enorme Bereicherung ihrer Erfahrungsmöglichkeiten ist. So bieten qualitativ hochwertige Lernprogramme (z.B. Löwenzahn, Lenen macht Spaß usw.) Kindern die Möglichkeit, sich selbst ein Thema von ganz verschiedenen Seiten zu erschließen (anschauen, zuhören, experimentieren, spielen). Die Beschäftigung kann, wenn die Computernutzung pädagogisch eingebettet ist, zu viel Kreativität, Selbsttätigkeit und Selbständigkeit führen (vgl. Neuß/Michaelis 2002). Dieses Bildungspotenzial haben kommerzielle Computerlernstudios längst erkannt und bieten den Kindern von zahlungsfähigen Eltern unterschiedlichste Computerkurse an. Damit diese Fähigkeiten aber alle Kinder erlernen können, ist es wichtig, dass schon im Kindergarten qualitativ hochwertige Bildungsmedien eingesetzt werden. So bilden Kinder, deren Eltern einen Computerkurs im privaten Lernstudio finanzieren können keine enormen Bildungsvorteile gegenüber Kindern aus, die dazu keinen Zugang haben. Weil im Umgang mit multimedialen Spiel- und Lernprogrammen ganz bestimmte Fähigkeiten und Kompetenzen nötig sind, wird auch von einer vierten "Kulturtechnik" gesprochen. Im Sinne gleicher Bildungschancen muss der Kindergarten als "erste Stufe des Bildungswesens" heutzutage auch den Kindern die Möglichkeiten der gehaltvollen Computernutzung anbieten, die in der Familie nur Spielkonsolen (häufig mit sogen. "Ballerspielen") kennen lernen.
5. Wissen über Medien ist ein eigenständiger Bildungsbereich
In schulischen Zusammenhängen wird häufig der integrative Aspekt der Medienpädagogik hervorgehoben. Es dominiert die Vorstellung, Medienpädagogik könne also im Deutsch-, Kunst- oder Sachunterricht integrativ umgesetzt werden. Medien werden als Werkzeuge verstanden, die in allen Fächern eine Rolle spielen. Diese Argumentation geschieht natürlich auch vor dem Hintergrund begrenzter Unterrichtsstunden. Die Folge der integrativen Medienerziehung ist im schulischen Bereich deutlich zu erkennen. Da sich niemand dafür "richtig" verantwortlich fühlt, findet eine systematische Medienbildung der SchülerInnen nicht statt. Wenn man für den Kindergarten den bestehenden Mangelzustand nicht weiter verschärfen möchte, sollte man die dort bestehenden zeitlichen und inhaltlichen Spielräume nutzen. Hinzu kommt, dass Medienbildung nicht ausschließlich fachbezogen konzipiert werden kann. Medienbildung umfasst auch Inhaltsbereiche, die in Bildungsbereichen, wie sie im Entwurf des Berliner Bildungsprogramms zu finden sind, nicht zu integrieren sind. Dazu nur einige Beispiele, die die spezifische medienpädagogische Perspektive verdeutlichen:
* Medienanalytische Fähigkeiten: Trickfilmgewalt durchschauen lernen: Arbeit mit der Trickboxx des Kinderkanals
* Medienbezogenes Sachwissen: Werbung erkennen und verstehen: Arbeit mit den Methodenbausteinen zum Thema "Kinder und Werbung"
* Medienbezogene Ausdrucksmöglichkeiten: Malen am Computer und in der 'Realität': Möglichkeiten und Grenzen ästhetischen Verhaltens
* Medienbezogene Emotionen: Erkennen und verarbeiten von ängstigenden Fernsehszenen durch symbolische Umformung
Medienpädagogische Angebote haben nicht "die Medien" zum Gegenstandsbereich, sondern die Kinder, die in lernender, sozialer oder gestaltender Beziehung zu den Medien stehen. Diese Mensch-Medien-Interaktion verantwortungsvoll einzuschätzen und entwicklungsfördernd einzusetzen ist das Ziel einer vorschulischen Medienbildung. Positionen, die den "Werkzeugcharakter" der Medien hervorheben, übersehen also die medialen Einflüsse auf die Sozialisation und Entwicklung von Kindern.
6. Medienbildung im Kindergarten ist völlig vernachlässigt
Dass Medienbildung im Kindergarten bisher wenig stattfindet, haben unterschiedliche empirische Untersuchungen über die Ausbildung und Einstellungen von ErzieherInnen zur Medienerziehung gezeigt (vgl. Six u.a.; Höltershinken 1989, 1994). Aber auch wenn wir einfach mal betrachten, welche aktuellen Erfahrungen Kinder im Bereich praktischer Medienarbeit - also dem Königsweg medienpädagogischer Arbeit - machen können, zeigt sich ein erheblicher Erfahrungsmangel. Eine aktuelle, repräsentative Befragung von über eintausend Kindern im Alter von sechs bis dreizehn Jahren (vgl. mpfs 2002) hat Kinder unter anderem nach danach befragt, welche Medien sie selbst schon einmal hergestellt oder gestaltet haben. Das Ergebnis ihrer Antworten zeigt folgende Tabelle: Tabelle: Medienpraktische Erfahrungen von Kindern (Quelle: mpfs, KIM-Studie 2002)
Deutlich wird aus der Grafik, dass die produktiv-gestalterischen Erfahrungen mit dem Alter zunehmen. Aber insgesamt gesehen bekommen Kinder in pädagogischen Institutionen sehr wenig Möglichkeiten, praktische Erfahrungen mit Medien zu sammeln. "Obwohl die Kinder über eine breite Erfahrung hinsichtlich der Nutzung verschiedener Medien verfügen, sind sie mit den Produktionsbedingungen von Medieninhalten so gut wie gar nicht vertraut" (mpfs 2002, S. 49). Im Durchschnitt haben sieben Prozent der Kinder irgendwann mal an der Erstellung einer Zeitung mitgearbeitet und nur fünf Prozent haben schon mal selbst einen Videofilm gedreht. Auch die einfachste medienpraktische Aktion, nämlich ein eigenes Hörspiel zu gestalten, haben durchschnittlich nur vier von einhundert Kindern kennen gelernt. Und bei den sechsjährigen haben gerade mal zwei von einhundert Kinder diese Erfahrung machen können. Aus vielen medienpraktischen Projekten wissen PädagogInnen, dass Kinder durch die Gestaltung von Medienbeiträgen und Medienprodukten viele Aspekte von Medienkompetenz lernen können. Bei der Gestaltung eines Videofilms erkennt man beispielsweise beim praktischen Handeln, dass die mediale Realität eine Konstruktion ist. Medienprojekte erhöhen neben den rein technischen Kompetenzen die emotionalen, analytischen, ethischen, gestalterischen, ästhetischen, sozialen und kommunikativen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen. Wenn wir wollen, dass Kinder lernen, Medien aller Art und insbesondere die neuen elektronischen und digitalen Medien zu handhaben, mit ihnen sinnvoll umzugehen, sie verantwortlich einzusetzen und sie angemessen zu nutzen, dann müssen wir den Kindern auch vielfältige Möglichkeiten bieten, diese Medien praktisch kennen zu lernen und konkrete Erfahrungen im Umgang mit ihnen zu sammeln. Medienarbeit dient folglich dazu nicht nur "irgendwelche" Themen zu bearbeiten, sondern die "Strickmuster" und Funktionsweise von Medien selbst kennen- und durchschauen zu lernen. Auch um dieses Ziel zu stärken, ist ein eigenständiges Arbeitsfeld Medienbildung dringend vonnöten.
7. Medienbildung ist eine Innovation für die Aus- und Fortbildung von ErzieherInnen
Wenn der Kindergarten seinen Erziehungs- und Bildungsauftrag in Zukunft mit Blick auf die gesellschaftliche Realität dieser Kultur ausrichten will, dann kann man die Medien als Gestaltungs-, Lern- und Kommunikationsmittel nicht übersehen. Deshalb ist Medienpädagogik im Kindergarten kein Luxus, der im Rahmen einer einzelnen integrativer Projekte abzuhandeln ist, sondern muss als eigenständiger Bestandteil eines Bildungskonzeptes der Kindertageseinrichtungen werden. Dass dies allerdings längst nicht umgesetzt wird, hat zuletzt die Studie von Six u.a. (1998) wissenschaftlich belegt. Insofern wird auch die Festlegung von Themenfeldern, wie sie im Berliner Bildungsprogramm vorgeschlagen werden, nicht nur in den Kindergarten hineinwirken, sondern auch deutliche Orientierungs- und Richtlinienfunktion in der Aus- und Weiterbildung von ErzieherInnen bekommen. Auch um bei ErzieherInnen und ihren Ausbildnern das Bewusstsein für diesen bedeutenden Arbeitsbereich zu wecken, ist eine Festschreibung und Differenzierung des Bildungsbereiches "Medienbildung" notwendig. In der ErzieherInnenausbildung erfahren ErzieherInnen häufig eine "Medienpädagogik", die sich ausschließlich auf den schon beschriebenen technokratischen "Werkzeugcharakter der Medien" konzentriert. Eine Erzieherin formulierte dies so: "In der Ausbildung hatten wir ja nur 'technische Mittler'. Wir nannten das 'Knöpfchenkunde'. Geräte muss man auch bedienen können, aber das ist zu wenig." Vielmehr haben auch ErzieherInnen die Förderung von umfassenden Kompetenzen im Umgang mit den "Medien" im Sinn. Medienkompetenz wird immer mehr zur Schlüsselqualifikation, um sich in der Informations- und Kommunikationsgesellschaft selbstbewusst, kritisch, sozial kompetent und verantwortungsvoll zu verhalten. Medienkompetenz bedeutet auch, sich in der Fülle der Medien zurechtzufinden und die Leistungen und Grenzen der Medien kritisch beurteilen zu können. Bei diesen Zielen kommen auch die Beratungs- und Informationsbedürfnisse von Eltern in den Blick. Um sowohl medienpädagogisch mit Kindern und Eltern zu arbeiten und die genannten Ziele auch im Kindergarten umzusetzen, benötigen ErzieherInnen selbst Wissen und Kompetenzen, die ihnen in der Aus- und Weiterbildung vermittelt werden sollen. Dies wird aber zielfördernd nur geschehen, wenn "Medienbildung" als eigenständiges Themenfeld etabliert wird.
Teil B: Sechs Bereiche des Lern- und Themenfeldes Medienbildung im Kindergarten (vgl. Neuß 2003)
Im folgenden möchte ich sechs konkrete Bereiche frühkindlicher Medienbildung skizzenhaft darstellen und durch einige Beispiele illustrieren. Eine Präzisierung im Sinne eines Curriculums oder steht noch aus und bedürfte auch der Beschreibung von Fort- und Ausbildungsinhalten für ErzieherInnen.
1. Medien als Erfahrungsspiegel betrachten
Kinder verarbeiten aktiv die Erlebnisse, die sie beschäftigen, die sie emotional bewegen oder die sie ängstigen, indem sie darüber sprechen, phantasieren, zeichnen oder Rollenspiele machen. Dies gilt für all ihre wichtigen Lebensbereiche (Familie, Kindergarten, Medien usw.). Auch die Verarbeitung von Medienerlebnissen ist ein wichtiger Bestandteil der frühkindlichen Erfahrungsbildung, weil sich die Kinder dabei die Beziehung zwischen ihrem eigenen Erleben und dem Medienerlebnis vor Augen führen können. Außerdem drücken Kinder durch ihre Medienerlebnisse auch ihre eigenen lebenswelt- oder entwicklungsbezogenen Themen aus. Ausgehend von den Medienerlebnissen der Kinder können ErzieherInnen spielerische Methoden der Verarbeitung anbieten (Situationsorientierung).
2. Medien zur Sensibilisierung der Sinne einsetzen
Wer schon mal mit Kindern ein Fotoprojekt durchgeführt oder eine Ton-Dia-Show erstellt hat, der weiß, wie diese Medien zum genauen Hinsehen und Hinhören auffordern. Indem Kinder in Medienprojekten (u.a. Trickfilm, Hörspiel, Video) selbst gestalterisch mit Medien umgehen, lernen sie Medien zur Darstellung eigener Ideen und Themen produktiv zu nutzen (Handlungsorientierung). Die Projektarbeit mit Medien geschieht dabei immer in einer sozialen Gruppe und lässt sich hervorragend zur Sinnessensibilisierung (vor allem Auge und Ohr) und zur Phantasieförderung einsetzen. Fast nebenbei lernen Kinder dabei die Funktionsweise und den "Produktcharakter" von Medien kennen und erfahren gereichzeitig, dass man mit Medien auch selbst produktiv sein kann.
3. Medien als Erinnerungshilfe einsetzen
Auch wir Erwachsene fotografieren, schreiben oder erstellen Videofilme, um uns an Situationen, Erlebnisse oder Stimmungen zu erinnern. Medien helfen uns bei dieser Erinnerung. Sie sind Speicher von biographischen Erfahrungen. An einem Foto kann eine ganze Urlaubsgeschichte 'hängen'. Medien helfen uns zu erinnern, uns die Gefühle wieder wachzurufen, vergessene Details wiederzuentdecken, Situationen zu beschreiben und Personen zuzuordnen. Diese Möglichkeiten lassen sich durchaus in pädagogischen Zusammenhängen - und auch im Kindergarten - nutzen. Lernen hat immer mit Erinnern und Vergessen, mit Auswählen von bedeutsamen Dingen und vergessen von unwichtigen Informationen zu tun. Medien können bereits im Kindergarten eingesetzt werden, um aus den vielfältigen Erfahrungen, die die Kinder in ihrer Lebenswelt machen, auszuwählen, sich daran zu erinnern und darüber zu sprechen.
4. Die Medien durchschauen helfen
Der Kindergarten hilft Kindern, sich in der Welt zu orientieren. Hilfestellungen bei der Orientierung in der Medien- und Konsumwelt finden kaum statt. Aber es gibt Problembereiche des Medien- und Fernsehverständnisses, bei denen Kinder Hilfestellung und Interpretationshilfen von Erwachsenen benötigen (Problemorientierung). Solche Problembereiche sind z.B. das Verständnis von Fernsehgewalt in Zeichentrickfilmen oder die mangelnde Unterscheidungsfähigkeit zwischen Fernsehprogramm und Werbung. Es geht folglich darum, ihnen beim Verstehen von Mediengestaltungen zu helfen und so aktiv eine Fernsehlesefähigkeit (media literacy) zu fördern. Hierzu können Erzieher/innen auf bestehende Materialien zurückgreifen, um Projekte anzubieten, die nicht nur lehrreich sind, sondern auch Spaß machen.
5. Medien als Bildungsmaterial bereitstellen
Sicher gibt es in jedem Kindergarten Bilderbücher, manchmal auch einen Kassettenrekorder, seltener einen Fernseher und kaum einen Computer, der den Kindern zugänglich ist. All diese Medien aber bieten Kindern auf unterschiedliche Weise Bildungsmöglichkeiten und sind Bestandteil kindlicher Primärerfahrung. Einerseits machen Kinder Erfahrungen mit dem Medium selbst, andererseits erschließen sie sich selbständig Informationen oder Geschichten (Bildungsorientierung). Ihnen die Medien in der heutigen Zeit vorenthalten zu wollen, bedeutet eine Einschränkung von Erfahrungs-, Erlebnis- und Informationsmöglichkeiten. Der Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen kann mit Hilfe von unterschiedlichen Medien umgesetzt werden. Erzieher/innen können beispielsweise Kindern bei ihren ersten Schritten am Computer pädagogisch begleiten und ihnen positive Lernerfahrungen vermitteln.
6. Medien als kooperative Erziehungsaufgabe verstehen
Der letzte Aspekt betrifft die Eltern von Kindergartenkindern. Die "schlimmen" Einflüsse der Medien rufen bei jungen Eltern häufig Fragen und nicht selten Sorgen und Verunsicherungen hervor. Der Kindergarten sollte diese Fragen systematisch aufgreifen und als Ausgangspunkt für tiefere Diskussionen über die Medienauswahl, familiäre Medienerziehungsgrundsätze sowie Chancen und Gefahren der Mediennutzung machen. Hier bietet es sich an, kooperative Formen der Zusammenarbeit mit Eltern (Elternabend, Familienwochenende, Elternnachmittage o.ä.) mit den Medienprojekten der Kinder zu verknüpfen. Dabei tritt die Erzieherin nicht als "Belehrende" auf, die den "unwissenden Eltern" den richtigen "Erziehungspfad" zeigt, sondern als unterstützende Begleitung bei schwierigen Erziehungsfragen (Kooperationsorientierung). Für den Fall einer Integration des Themenfeldes "Medienbildung" müssten diese Bereiche differenziert werden.
Teil C: Empfehlungen
1. Aufgrund der skizzierten Bildungsdefizite im Bereich der vorschulischen Medienbildung und der möglichen Bildungschancen mit Medien rate ich dringend ein eigenes Themenfeld "Medienbildung" zu etablieren. Die Begründungen und Handlungsnotwendigkeiten dafür lassen sich u.a. aus vier Perspektiven herleiten: Die Kinder benötigen eine Orientierung in der Medienwelt. Orientierung kann nur durch konstruktive Auseinandersetzung geschehen. Die Eltern müssen Kinder beim sinnvollen Mediengebrauch begleiten und benötigen daher selbst regelmäßig qualifizierte Informationen und Diskussionsimpulse. Die Erzieherinnen regen sowohl bei Kindern als auch bei Eltern die pädagogische Auseinandersetzung mit den Medien an. Sie können dies nur kompetent umsetzen, wenn sie selbst Medienkompetenzen erworben haben. Die Institution Kindergarten kann "Medienbildung" als einen innovativen Bereich der vorschulischen Bildung herausstellen und so das eigene konzeptionelle Profil schärfen.
2. Sollte "Medienbildung" nicht als eigenes Themenfeld durchgesetzt werden, dann rate ich dazu "Medien/Medienbildung" entweder als Begriff in den Bereich "Sprache, Kommunikation und Schriftkultur" einzubeziehen oder in den Bereich "Soziale und kulturelle Umwelt". Dies kann aber vor dem Hintergrund der zuvor genannten Argumente nur eine Kompromisslösung darstellen.
Teil D: Literatur
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